Die Ängste meines Hundes haben sich deutlich verschlimmert. Alex springt wieder mehr im Kreis, ist schreckhafter und will nicht mehr laufen. Bei unserer letzten Wanderung war es besonders schlimm. Von Anfang an hatte er keinen Bock und so musste ich ihn knapp 20 Kilometer hinter mir „herziehen“.* Seine Unlust am Laufen hatte ich auf die Wärme geschoben, auch wenn es an dem Tag noch nicht so warm war. Für die Verschlimmerung seiner Ängste hatte ich kaum eine Erklärung. Doch seit dem 1. Mai ist das anders.
Beim Camp Canis hatte eine Fahrradbegegnung bei Alex wieder eine Panikattacke ausgelöst. Also vermutete ich, dass er deswegen wieder vermehrt davor Angst hatte. Bei unseren morgendlichen Runden kamen auch ein paar Fahrräder den Berg hinunter gesaust. Somit hatte ich eine Erklärung für seine Unlust am Laufen, gepaart mit den steigenden Temperaturen. Körperlich machte er allerdings stets einen fitten Eindruck. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das nicht alles ist. Ich grübelte und grübelte. Was war nur passiert? Was habe ich nicht mitbekommen? Jetzt sind mir die Schuppen von den Augen gefallen. Die Wärme und die Fahrräder tragen (wenn) nur einen kleinen Teil dazu bei, das eigentliche Problem bin mal wieder ich.
Nichts ist mehr, wie es war
Wie Ihr vielleicht wisst, hatten Alex und ich einiges zu meistern. Viel hatten wir bereits geschafft, aber es fehlte noch immer etwas für eine super Hund-Mensch-Beziehung. Irgendwann war mir klar, dass das an meiner Unausgeglichenheit und mangelnden Selbstsicherheit lag. Nach dem Tod meines letzten Hundes, Struppi, habe ich nämlich meine Souveränität und Zufriedenheit verloren. Alex Ängste haben meine Unsicherheit noch weiter verstärkt und ich brauchte einige Zeit, bis ich das begriff. Als ich jedoch anfing an mir zu arbeiten anstatt an Alex, wurde es stetig besser – so auch unsere Beziehung. Das letzte Fünkchen fehlte nur noch. Und dann ging alles wieder auf Anfang.
Das letzte Jahr endete schon mit einer kleinen Frustphase, aber sie war recht harmlos und ich berappelte mich. Doch dann starb ganz plötzlich mein Papa, wie einige von Euch sicherlich schon mitbekommen haben. Mein Leben geriet dadurch völlig aus den Fugen. Die erste große Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und der Schmerz waren recht schnell eingedämmt (an dieser Stelle noch einmal ein dickes Dankeschön an Nina von der weisse hund). Trotzdem war danach nichts mehr wie zuvor.
Der Zusammenbruch
Ich wusste eigentlich immer, was ich wollte, hatte Ziele, Wünsche und Pläne, liebte das Leben. Doch auf einmal war das weg. Mir war alles egal. Die Welt und das Leben erschienen mir vollkommen sinnlos zu sein und nicht erstrebenswert. Die ersten Wochen, die ich nach dem Tod in Bremen verbrachte, riss ich mich zusammen. Ich funktionierte und ließ mich nur soweit gehen, dass es nicht besonders auffällig war. Als ich wieder zu Hause war, folgte ein Zusammenbruch. Nun musste ich mich nicht mehr verstecken (ich konnte noch nie gut meine Gefühle zeigen und vor anderen weinen). Da meine Mitbewohnerin auch viel unterwegs war, musste ich mich nicht mehr verstellen, weil ich ja alleine war. Ich konnte es auch gar nicht.
Mehrmals täglich flossen die Tränen und es kam nicht selten vor, dass ich meinen Papa beneidete. Er hatte Ruhe und Frieden gefunden, musste nicht mehr kämpfen – und ich?! Gefühlt habe ich mein ganzes Leben damit verbracht, zu kämpfen und Traumata zu bewältigen und wozu das Ganze? Gerade fängt man sich und hat wieder einen großen Schritt nach vorne gemacht, nur damit die nächste Katastrophe hereinbrechen kann. Das wollte ich nicht mehr. Ich wollte nicht mehr kämpfen und auch nicht mehr leiden. Was war die Alternative? Eigentlich bleibt nur sterben. Allerdings bin ich zu feige, um mir das Leben zu nehmen. Nicht weil ich Angst vor dem Tod habe, im Gegenteil. Vielmehr habe ich Angst davor, dass es schiefgeht und es danach noch schlimmer ist, weil man vielleicht gelähmt, behindert oder irgendetwas dergleichen ist. Hinzu kommt natürlich, dass ich das Alex und meinem Bruder nicht antun könnte. Schließlich haben wir eigentlich ja nur noch uns.
Der Kummer, der nicht spricht, nagt am Herzen, bis es bricht. William Shakespeare
Also vegetierte ich so vor mich hin. Irgendwann fing ich an, mir klarzumachen, dass es viele Menschen gibt, die noch weitaus schlimmere Dinge erlebt haben/erleben als ich. Was mich allerdings zum Teil wütend machte – auch auf mich selbst. Meine Verzweiflung wuchs und ich war sogar drauf und dran eine Therapie zu beginnen. (Diejenigen, die mich besser kennen, wissen, dass das etwas heißen will.) Glücklicherweise kam ich dann zum Kickboxen. Es heiterte mich auf und euphorisierte mich sogar richtig. Ich bekam wieder Power und wollte aktiv sein. Aber ich wollte auch verdrängen. Das brauchte ich einfach, weil mein Körper und Geist nicht mehr konnten. Sie brauchten einmal Ruhe.
Bei der Wanderung hat Alex mir aber klar gemacht, dass sich auspowern zwar gut ist, ich aber auch mal entschleunigen muss. Das wollte ich zuvor nicht. Denn sobald ich in mich kehrte und es langsamer anging, wurde ich todtraurig. Doch der Schmerz will raus, das weiß ich. Genauso weiß ich, dass wenn man zu sehr verdrängt, es irgendwann noch schlimmer zurückkommt. Schließlich habe ich das bei dem Tod meiner Mama erlebt. Somit hatte die frustrierende Wanderung auch eine Erkenntnis für mich parat. Doch auch dabei dachte ich, dass kann es nicht gewesen sein. Da muss noch etwas anderes sein, weshalb Alex spinnt und nicht mehr laufen will.
Es regnen keine Knochen, aber dafür Erkenntnis
Beim Lesen des Buches „Es würde Knochen vom Himmel regnen“ von Suzanne Clothier fielen bei mir zwar keine Knochen aufs Bett, aber die Erkenntnis. Meine Stimmungsschwankungen, Unausgeglichenheit und Inkonsequenz sind schuld. In den letzten Monaten konnte ich mich für Nichts entscheiden, nicht einmal dafür, was ich essen oder anziehen will. Selbst Kleinigkeiten waren für mich schwer. Das kannte ich in dem Ausmaß nicht. Die ersten Wochen nach dem Tod meines Papas wollte ich auch nicht mal mehr vor die Tür – geschweige denn mit Alex spazieren gehen. Auch als die Lust an den Hunderunden wiederkam, waren diese negativ belastet.
Von Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt innerhalb von Sekunden. Teilweise täglich fing ich bei den Spaziergängen an zu heulen – und so manches Mal brach ich zu Boden. Auch wütende Ausraster waren keine Seltenheit. Bei der Wanderung im Härtsfeld, war ich so frustriert, verzweifelt und wütend, dass ich völlig ausgeflippt bin und aus tiefsten Herzen in den Wald geschrien habe. Das war nicht das erste Mal. Natürlich habe ich Alex nie etwas angetan – zumindest nicht körperlich. Denn meine Ausraster und Heulkrämpfe haben ihn natürlich beeinträchtigt. Hunde nehmen jede noch so kleine Stimmung wahr und lassen sich von unserer Energie beeinflussen, das hatte ich schon vor längerem gelernt. Hinzu kommt, dass Alex ein ganz sensibles Exemplar ist. Also kein Wunder, dass er nicht mehr mit mir laufen wollte. Ich würde mit so einer Person auch nicht laufen wollen!
Bewahre Du zuerst den Frieden in Dir selbst, dann kannst Du auch anderen Frieden bringen. Thomas von Kempen
Natürlich lasse ich ihn sicherheitshalber noch einmal beim Tierarzt durchchecken, aber ich bin mir sicher, dass er gesund ist und dass meine Disharmonie die Ursache allen Übels ist. Seit dieser Erkenntnis gesellen sich auch immer mehr Anzeichen dazu, die meine Annahme bestätigen. Am Wochenende gab es beispielsweise die erste morgendliche Hunderunde, bei der ich vollkommen in mir ruhte. Ich war zufrieden, fühlte mich ausgeglichen und meine Stimmung wechselte nicht ein einziges Mal. Und siehe da: Alex hatte nicht nur bei seiner täglichen Futterarbeit mehr Freude als die ganze Zeit davor, nein er strahlte mich auch das erste Mal seit Ewigkeiten wieder an und wollte spielen. Mir war bis zu dem Tag gar nicht richtig aufgefallen, dass das gemeinsame Spielen, dass wir uns erst vor einiger Zeit hart erarbeitet hatten, fehlte – genauso wie sein Strahlen.
Wie konnte ich nur so blind sein und nicht erkennen, was das Problem ist? Doch lieber eine späte Erkenntnis als keine. Und selbst wenn ich es früher kapiert hätte, hätte ich es sicherlich nicht so leicht ändern können. Schließlich lässt sich die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen nicht so einfach wegbekommen. Auch jetzt weiß ich, dass mich der Schmerz weiter begleiten wird. Klar, es wird irgendwann leichter, aber das braucht einfach seine Zeit. Selbst wenn es schwerfällt, werde ich die Trauer und den Schmerz wieder öfter zulassen. Aber wenn möglich zu Hause oder im besten Fall, wenn Alex nicht dabei ist. Meine Wut und mein Frust versuche ich kontrolliert beim Kickboxen auszulassen. Meine täglichen Yogaübungen verhelfen mir sicherlich weiterhin zu mehr Ruhe. Und ich habe wieder mit dem Meditieren angefangen, was zusätzlich zu mehr Ausgeglichenheit beiträgt.
Die Lebensfreude kommt wieder
Sport und Bewegung helfen mir, aber wenn ich merke, dass ich emotional nicht auf der Höhe bin, gehe ich es langsamer an und lasse Alex lieber zu Hause. Gehe also ohne ihn laufen oder Inliner fahren. Wenn ich mit Alex rausgehe, mit ihm spiele oder dergleichen, versuche ich mehr bei mir und positiv gestimmt zu sein, damit er mir wieder vertraut und ich ihm das Gefühl geben kann, ihn zu beschützen, ihn ernst zu nehmen, für ihn da zu sein und ihm Sicherheit zu geben. Denn all das und mehr habe ich in den letzten Monaten nicht gekonnt – stattdessen sogar genau das Gegenteil.
Ich weiß, dass sich das nicht von heute auf morgen alles ändert, sondern eine ungewisse Zeit braucht. Doch wie heißt es so schön, Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Außerdem bin ich mir sicher, dass ich auch das hinbekomme. Schließlich habe ich schon so manches Trauma bewältigt. Die Kämpferin in mir begleitet mich schon mein ganzes Leben und ist einfach doch stärker. So kommt auch langsam meine Lebensfreude und mein Lebenswille wieder. Somit sind gute Voraussetzungen geschaffen, um die Beziehung zu meinem Hund wieder zu verbessern!
Nachtrag:
Den Text habe ich vor gut zwei Wochen am 1. Mai 2018 geschrieben. Ich war mir erst nicht sicher, ob ich ihn veröffentlichen will und habe mich dann dagegen entschieden. Doch heute glaube ich, dass ich meine Angst überwinden sollte und meine Gefühle mit Euch teilen sollte, auch wenn es mich große Überwindung kostet und ich nicht weiß, ob das richtig ist!?
Ich bin immer noch todtraurig und meine Gefühlswelt spielt nach wie vor verrückt, aber die extremen Stimmungsschwankungen während der Hunderunden sind größtenteils passé. Wenn ich mit Alex unterwegs bin, bekomme ich es hin, zufriedener und ruhiger zu sein. Seitdem hat er wieder Lust mit mir zu laufen und auch das Strahlen huscht wieder regelmäßig über sein Gesicht – und diese Momente sind genau die, die mir Kraft geben, weiterzumachen!
*Normalerweise hätte ich die Tour abgebrochen, aber leider war das nicht möglich, weil ich für die Tagszeitung, für die ich schreibe, unterwegs war.
4 Comments
Liebe Anni,
ich wünsche Dir alles erdenklich Gute. Ich bewundere Deinen Mut, Dich so zu öffnen. Möge Dir dieser Mut und Deine bisherige Erkenntnis ganz viel Glück bringen und Dich zufrieden machen. Alex wird Dich auf Deinem Weg begleiten und Dir – wie ein Spiegel – zeigen, was gut ist und was Dir nicht gut tut.
Ich habe natürlich auch schon viel erlebt, musste loslassen und bin verletzt worden. Ich bin dankbar, dass ich es irgendwie geschafft habe, oben auf zu bleiben. Deine zeilen wecken viel Dankbarkeit in mir. Vielen Dank dafür.
Alle guten Wünsche und viele liebe Grüße
Sabine mit Socke
Liebe Sabine mit Socke,
vielen lieben Dank! Deine Worte bestätigen mich darin, dass es richtig war, den Beitrag zu veröffentlichen, auch wenn noch ein Restzweifel bleibt.. Aber ich bin sehr froh, dass meine Zeilen Dich dankbar werden lassen. Denn Dankbarkeit ist wahnsinnig wichtig! Ich bin auch dankbar, für Deine Worte und natürlich für mein größtes Geschenk: Alex!
Alex zeigt mir in der Tat stets ganz klar, was gut ist und was wir brauchen. Er ist definitiv der beste Spiegel, den ich haben kann. Allerdings vergesse ich manchmal da hinein zu schauen. 😉 Aber ich gebe mein bestes!
Ich hoffe, Socke ist Dir auch so eine tolle Hilfe!? Und ich wünsche Euch, dass Ihr noch viele tolle Stunden zusammen verbringt und dass Du auch weiterhin stets oben bleibts!
Liebe Grüße
Anni
Liebe Anni,
ich bewundere Deine Offenheit. Aber gehe nicht zu hart mit Dir ins Gericht. Ihr seid ein Team und natürlich beeinflusst es Alex sehr, wenn es Dir schlecht geht. Und er macht, was gute Hunde nunmal machen. Er hält Dir den Spiegel vor das Gesicht und zeigt, dass Du dem Kummer nicht davonlaufen kannst. Es ist toll, wenn Du für ihn versuchst ausgeglichener zu sein. Aber sperre ihn nicht aus, wenn die Trauer dich wieder überwältigt. Ihr seid ein Team, er wird es merken. Und manchmal wollen diese Vierbeiner auch einfach nur für uns da sein, mit uns gemeinsam trauern. Der Grund ist ihnen egal.
Ohne euch persönlich zu kennen denke ich, dass Alex Dich sehr liebt. Lass ihn auch für Dich da sein.
Alles Liebe und viel Kraft aus der Ferne,
Stephie
Liebe Stephie,
ganz lieben Dank für Deine Worte! Du hast recht, ich bin durchaus immer recht hart mit mir, das kann ich eben gut… 😉
Vor einiger Zeit hätte ich Dir sicherlich widersprochen, denn Alex rannte immer weg, sobald mir eine Träne über die Wange lief. So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie er die Flucht ergriff. Doch witzigerweise hat sich sein Verhalten geändert. Seit meiner neuen Erkenntnis und Bedachtheit auf ruhige, friedvolle Spaziergänge, rennt er nicht mehr weg, wenn ich weine. Stattdessen ist er seitdem stets bei mir und hält sich oft ganz dicht in meiner Nähe auf. Also, ich muss Dir jetzt doch zustimmen und vermutlich hast Du recht damit, dass Alex für mich da sein und mir trauern möchte.
Vielen Dank!
Liebe Grüße in die Ferne
Anni