Ein Zwitschern hier, ein Trällern dort. Die Vögel wechseln sich ab mit ihrem Gesang. Dazu mischt sich immer wieder ein Rasseln, denn der Wind lässt zwischendurch die Äste und Blätter tanzen. Ich schwanke leicht von links nach rechts. Das passiert mir jedes Mal, wenn ich versuche, ganz bewusst einen Fuß vor den anderen zu setzen. Auch wenn ich mich immer öfter in Achtsamkeit übe, bin ich halt noch ein Anfänger. Während es mir im Stehen und Sitzen schon recht leichtfällt, hält das achtsame Gehen Tücken für mich bereit. Wenn ich schneller gehe, funktioniert es besser. Allerdings schweifen dann meine Gedanken schneller ab. Mein Hund Alex ist ein Meister auf dem Gebiet, zumindest was das Schleichen angeht. Allerdings liegt es heute vermutlich eher an dem schwülen Wetter.
Trotzdem setze ich weiter einen Fuß vor den anderen auf den Waldboden. Wir waren seit über fünf Wochen nicht mehr an einem neuen Ort (Juni 2024). Das lag an meinem kaputten Auto, denn ohne es kommen wir nicht weit und die Wege vor unserer Haustür sind uns schon sehr gut bekannt. Umso glücklicher bin ich, dass ich meinen Unmut weggeschoben habe, die graue regenversprechende Wolkendecke ignoriere und einfach losfahre. Nicht weit, denn die Arbeit ruft noch.
Schritt für Schritt bewusst wandern mit Hund
Und dann finde ich spontan diesen unglaublichen Weg. Mitten durch den Wald schlängelt sich der braune, erdige Boden, der jeden unserer Schritte abfedert. Die Muskeln meines rechten Oberschenkels spannen sich, damit sich mein Bein hebt. Kurz darauf zieht mein Schienbein nach vorne. Beides geschieht dieses Mal noch ein Stück weiter, schließlich will ich nicht auf den dicken Ast treten, der uns den Weg versperrt.
Mein Hund Alex bleibt direkt davorstehen und schaut etwas pikiert. Die Barrikade reicht mir gerade einmal bis zum Fußknöchel. Die Überwindung dürfte für Alex also eigentlich ein Klacks sein. „Na los, das schaffst Du schon“, sporne ich ihn an. Etwas widerwillig spannt er die Muskeln seines Vorderbeines an, um es anzuheben und den ersten Schritt über den Ast zu machen. Es wirkt mühelos. Dabei ist Gehen eigentlich ein Kraftakt für den Körper, aber das ist uns meist nicht bewusst. Zum Glück: Vermutlich würden wir uns sonst viel weniger bewegen.
Für meinen Hund Alex gibt es aber schon manchmal Tage, an denen er das deutlich spürt. Seine Hüfte und sein Rücken haben ihm schon relativ früh Schmerzen bereitet. Statt deutlich darauf hinzuweisen, hat er einen Weg gefunden, etwas schmerzfreier zu gehen, indem er die Vorderbeine überlastet. Das hat dafür gesorgt, dass er auch vorne irgendwann Probleme bekam. Wir steuern mit Hundefitnesstraining, Massagen, Hundeosteopathie und Nahrungsergänzungsmitteln dagegen, aber an manchen Tagen nützt das alles nichts. Haben wir heute so einen Tag oder liegt es nur am Wetter? Ich bin mir unsicher, entscheide mich aber schließlich dafür, noch etwas weiterzugehen: Manchmal blüht Alex noch wieder auf.
Achtsam durch die hessische Natur
Mittlerweile hallt ein leichtes Trommeln durch den Wald. Es regnet. Wir bekommen das aber nur zu hören, nicht zu spüren. Denn das grüne Blätterdach dient uns als natürlicher Regenschirm. Meine Füße und Schritte nehme ich nur noch am Rande wahr. Vielmehr konzentriere ich mich jetzt auf alles um mich herum. An einem Baumstamm sticht mir die weiße X8 ins Auge. Mein Hund und ich wandern also gerade auf dem Barbarossaweg (ARS NATURA). Auf 90 Kilometer führt der Wanderweg vom Kyffhäuser in Thüringen nach Korbach in Hessen. Er trägt den Zusatz ARS NATURA, weil die Wanderstrecke 130 Kunstwerke säumen.
Die grünen Buchenblätter glänzen dank der Tropfenpracht. Am Wegesrand tauchen immer wieder Metallzäune auf, die aussehen, wie der Eiserne Vorhang. Also wie die Zäune, die früher Ost- und Westdeutschland trennten. Wozu hier wohl so viel Zaunmaterial gebraucht wurde? Oder sind das tatsächlich noch Überbleibsel von der ehemaligen innerdeutschen Grenze? Zwischen all dem Grün und Braun wirkt das Metall wie ein Außerirdischer und völlig deplatziert.
Mein Hund geht Pass
Erst einige Meter weiter entdecke ich auf dem Boden gelbe und lilafarbene Tupfer. Zwischen den hohen Gräsern versteckt sich manch bunte Blüte. Die Bäume stehen weiter auseinander. Sonnenstrahlen fallen nun vereinzelt durch die Löcher unseres bisherigen Regenschirms. Direkt vor uns öffnet sich der Wald komplett und ich sehe die kniehoch gewachsenen Gräser einer Wiese. Zwischendurch hebt Alex seine Pfoten auf der rechten Seite gleichzeitig ab und setzt sie gleichzeitig wieder auf. Dann das gleiche links. Statt schlurfend Schritt zu gehen, läuft er nun Pass und ist dadurch etwas schneller unterwegs.
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Bei Hunden kann der Passgang ein Hinweis auf Beschwerden wie Gelenk- oder Wirbelsäulenprobleme und Schmerzen sein. Muss aber nicht. Manche Hunde laufen Pass, wenn sie an der Leine sind und Trab zu schnell und Schritt zu langsam wäre, um mit uns mitzulaufen. Außerdem kann Pass rassebedingt sein, zum Beispiel Huskys verfallen häufiger in Pass. Also der Passgang muss nicht unbedingt ein Grund zur Sorge sein. (Tritt er neu auf schon eher. In Kombination mit beispielsweise Schmerzlauten, Bewegungsunlust, Pfotenschleifen, Berührungsempfindlichkeit, Schwierigkeiten beim Aufstehen, vermehrtem Hecheln oder anderen Schmerzanzeichen sollte ein Tierarzt aufgesucht werden.)
Die Natur wächst kreuz und quer
Wir treten aus dem Wald, mitten in die Sonne. Eine kleine Lichtung begrüßt uns nun mit Sonnenstrahlen. Ein Gebilde steht am Rand zum Wald. Es sieht aus wie ein übergroßer Türrahmen, dessen Seiten mit einem Metallbalken verbunden sind und auf dem sich Sitzpolster befinden. Teil der Kunst? Alex scheint interessiert. Vermutlich diente es manchen als Sitzbank und er muss mit seiner Hundenase erst einmal wieder die geruchlichen Spuren von Menschen aufnehmen.
Zwischen den grünen und beigen Halmen entdecke ich einen schmalen Trampelpfad. „Na komm Alex, ein kleines Stückchen gehen wir noch weiter.“ Es sind nur wenige Meter, bevor wir wieder in den Wald eintauchen, aber dieser wirkt noch ursprünglicher und wilder. Neben dem Wanderweg blickt man in das unordentliche Kinderzimmer des Waldes. Bäume, Sträucher und Grünpflanzen wachsen kreuz und quer übereinander. Kahle Baumstämme stehen teils stramm an der Seite, teils überlagern sie sich wie die Spielstäbchen beim Mikado. Alex läuft ein Stück voraus. Das ist meist ein gutes Zeichen und spricht dafür, dass mein Hund doch noch etwas achtsam wandern kann.
Den Wanderweg für sich allein
Ich kann mein Glück kaum fassen. Denn solche Wanderwege liebe ich: mitten durch die Natur. Die Zivilisation scheint ganz weit weg, obwohl die nächste Straße vielleicht dreihundert Meter entfernt ist, das nächste Dorf höchstens zwei Kilometer. Hoffentlich bleiben wir hier auf dem hessischen Bergrücken allein, denke ich. Alex bleibt stehen und wirkt etwas genervt. Im Gegensatz zu ihm habe ich das Schneckentempo beibehalten. Obwohl ich nicht mehr jeden Schritt vollkommen bewusst wahrnehme, schleiche ich, anstatt zu wandern. Ich bin im Hier und Jetzt. Genieße die Langsamkeit und die Natur.
Mal zieht das grün leuchtende Moos an einem Baumstamm meine Aufmerksamkeit auf sich, mal ein auf dem Boden liegender Tannenzapfen. Dann schneidet mir ein Schmetterling den Weg ab. Das war haarscharf. Wäre ich schneller unterwegs, hätte es vielleicht eine Kollision gegeben. Nach so einer langen Abenteuerabstinenz ist das der perfekte Ort. Ohne Planung, nur per Zufall und Gefühl gefunden. Eine wohlige Wärme macht sich in mir breit. Damit gehe ich Stück für Stück weiter. Vom Wald über Wiesen wieder in den Wald und wieder auf eine Wiese.
Der Hundeblick fürs Umkehren
Ein wundervoller Wanderweg, aber leider lässt Alex sich wieder zurückfallen. Ein Blick in sein Hundegesicht und mir wird klar: Jetzt ist es Zeit für uns, umzudrehen. Aber wir müssen uns nach wie vor nicht beeilen. Wir setzen weiter einen Fuß und eine Pfote vor die anderen. Alex findet immer wieder einen Halm, den er noch nicht abgeschnuppert hat. Und ich entdecke immer wieder kleine Freuden am Wegesrand. Seien es leuchtende Regentropfen auf einem Buchenblatt, durch die Luft tanzende Schmetterlinge, unförmige Pilze am Baumstamm, umgekippte Baumstämme. Und immer wieder denke ich: Oh Du wundervolle Langsamkeit, Du bist so schön!