Ein etwas anderes Abenteuer mit Hund

„Woo, woo, woo“, höre ich vom Rücksitz. Alex leises Fiepen drückt seine Aufregung und Freude aus. Spürt er etwa, dass wir heute unser Stammwäldchen etwas anders erkunden? Oder hofft er doch darauf, dass wir uns mit einem seiner Kumpels treffen? Ich werde es wohl nie erfahren, was er mit seinen Lauten ausdrücken möchte. Es ist auch nicht so wichtig. Mir reicht es, zu hören, dass er Lust hat auf eine Hunderunde und ein neues Abenteuer.

Wir steigen am Wasserturm aus und tauchen direkt in den Wald ein. Der graue Himmel mag viele vielleicht stören, mir zaubert er ein Lächeln ins Gesicht, denn er verspricht Ruhe. Mein Hund Alex läuft schwanzwedelnd voraus, um schon kurz darauf abrupt zu stoppen. Ein spannender Geruch scheint an dem Grashalm zu sein. Schnell, aber leicht kräuselt sich der Bereich rund um seine Nase. Dann bringt er seinen Körper in die richtige Position, hebt sein Bein und hinterlässt seine Marke. Die Revierabsteckung beginnt.

Was riecht denn da so spannend?

Ich lausche dem Vogelgezwitscher. Eins, zwei, drei oder sind es doch mehr verschiedene Gesänge, die ich vernehme? Das eine Lied ist heller, das andere dunkler. Eines lässt verschiedene Töne erklingen. Der eine Vogel singt kurz, der andere gibt sein Können lang anhaltend zum Besten. Ein kühler, feuchter Wind streift über meine Wangen. Ich atme tief ein, versuche, bei mir zu bleiben. Im Hier, im Jetzt, im Wäldchen. Grübeleien und große Pläne bleiben aus. Stattdessen blicke ich auf die Äste der Nadelbäume. Ich bin fasziniert von den giftgrünen Spitzen. Warum ist der Rest wohl dunkelgrün? Hat das einen Sinn?

Alex ist derweil mit der nächsten Pflanze beschäftigt, auch wenn er immer wieder den Kontakt zu mir sucht. Ich bücke mich herunter. Tue es ihm gleich, in dem ich laut und schnell durch die Nase einatme. Meine etwa 20 bis 30 Millionen Riechzellen können jedoch nicht mit den bis zu 220 Millionen Riechzellen meines Hundes mithalten. So entgeht mir leider der Geruch, den er vernimmt – oder vielleicht zum Glück? Alex weiß mein Interesse zu schätzen. Es sind nur Sekunden, doch er blickt mich mit sanften Augen liebevoll und freudig an.

Die Spuren und Geräusche der Natur

Langsam gehe ich weiter. Knack. Als mein Blick in Richtung des Geräusches geht, sehe ich das helle Hinterteil eines Rehes. Eilig rennt es davon. „Oh schau ein Reh“, sage ich zu Alex. Er kommt an meine Seite und blickt in Richtung des fliehenden Tieres. Wir lassen einige Sekunden vergehen, bevor wir weiter schlendern.

Immer wieder bleiben wir stehen. Alex muss ja schließlich sein Revier weiter abstecken. Außerdem zeigt sich mir dabei manch Blüte oder das Werk des Borkenkäfers, der manchen Stamm eine Rasur verpasst hat. Mein Kopf wandert in den Nacken. Meine Augen erfreuen sich an den Baumwipfeln. Immer wieder ist ein Klacken zu hören. Die langen dünnen Riesen stoßen durch den Wind manches Mal aneinander. Es ist schon komisch, dass die hohen, stelzigen Bäume so lange der Witterung und den Naturkräften standhalten können, obwohl sie recht zerbrechlich aussehen.

Bewusst unterwegs mit Hund

Ich betrachte einen Tannenzapfen, der auf dem Boden liegt. Das Moos an den Baumstämmen. Es ist trockener und blasser als sonst, aber nicht minder schön. Der Matsch quietscht unter meinen Füßen. „Im Frühling soll man am Ende des Tages nach Dreck riechen“, soll die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood gesagt haben. Das haben wir heute auf jeden Fall schon geschafft.

Ich versuche seit Längerem bewusster unterwegs zu sein. Dass ich mich immer wieder einmal für Alex Entdeckungen interessiere, gehört seit ein paar Jahren zu unseren Spaziergängen und Wanderungen dazu. Doch immer wieder grübel ich oder gebe mich Tagträumen hin, wenn Alex und ich unsere Hunderunden drehen. Ich war schon immer eine Träumerin und das will ich mir bewahren, aber das bewusste Unterwegssein mit Hund wird wieder mehr: Denn gibt es etwas Schöneres?!

„And into the forest I go, to lose my mind and find my soul.“ – John Muir

In den letzten Monaten hatten wir leider sehr viele stressige Hundetouren. Alex hatte Schmerzen und Angst vor den ganzen fremden Leuten – insbesondere vor den Kindern und Fahrrädern. Es war und ist eine herausfordernde Zeit, aber wir fanden/finden neue Wege. Heute haben wir bis jetzt glücklicherweise noch keine Menschen- oder Hundeseele getroffen. Hoffentlich bleibt das so!?

Immer mal wieder gemeinsam schnüffeln

Alex freut sich, dass wir weiter auf dem Waldweg bleiben und nicht Richtung Asphalt abbiegen. Eigentlich mag er es lieber, die Gegend überblicken zu können, aber dieses Wäldchen kennt er sehr gut. So fühlt er sich hier sicher (sofern es nicht überlaufen ist). Wir schnuppern uns gemeinsam durch die Natur. Auch wenn mein Hund natürlich viel mehr riecht als ich, genieße ich es. Nach einer verschleppten Nasennebenhöhlenentzündungen mit Mitte 20 rieche ich generell nicht mehr so gut. Trotzdem macht es Spaß, manchmal einen auf Hund zu mimen. So schnell wie möglich blasen sich meine Nasenmuscheln auf und lockern sich wieder.

Wer mein „lautes“ Schnaufen hört, hält mich vielleicht für verrückt. Mein Hund allerdings nicht. Er findet das großartig, dass ich mich für seine Dinge interessiere. Und ich habe jedes Mal das Gefühl, dass wir dadurch noch ein Stück näher zusammenwachsen, sich unsere Verbindung verbessert und unsere Beziehung verstärkt. Das zeigt sich dadurch, dass Alex immer häufiger den Kontakt zu mir sucht, fragt welchen Weg wir einschlagen wollen. Ich gebe ihm ein Zeichen und biege dann ganz spontan nach links ab. Alex schießt hinterher. Schwanzwedelnd läuft er über den braunen Waldboden vorbei an den dichten Nadelbäumen.

Mein Hund hat einen „Schatz“ entdeckt

In Märchen beherbergt der Wald oft das Böse und Gefährliche. Unter anderem Hänsel und Gretel haben dafür gesorgt, dass ich stets etwas Angst im Wald habe. Ich liebe es, mit meinem Hund durch die dunklen Ecken zu streifen, aber trotzdem finde ich es auch immer ein bisschen unheimlich. Gerade das fasziniert mich zusätzlich. Dieser Weg ist nur kurz und schon kommen wir auf eine kleine Lichtung.

Alex zieht es an ein Gebüsch und ich sehe an seinem Verhalten, dass er dieses Mal etwas mehr gefunden hat als „nur“ einen spannenden Geruch. „Pfui“, ermahne ich ihn, denn er setzte gerade dazu an, etwas ins Maul zu nehmen. Ich gehe näher und entdecke etwas Helles: einen Wirbelkörper. Es könnte ein Stück einer Halswirbelsäule sein. Einer der beiden Processus transversi (Querfortsätze) fehlt. Aber von welchem Tier stammt das gute Stück? Vielleicht von einem Reh? Und wie kam es hier her?

Alex schaut geduldig zu, wie ich den Knochen inspiziere. Es tut mir leid, dass ich ihn so barsch davon weggescheucht habe. Ich hatte einfach Sorge, dass er irgendetwas schädliches frisst. Denn leider sind mittlerweile auch bei uns ein paar Idioten aufgetaucht, die Giftköder verteilen. Am liebsten würde ich den Wirbelkörper mitnehmen. Doch kürzlich habe ich erst gelesen, dass man das nicht tun sollte, weil die Überreste von Tieren zum einen anderen Wesen als Nahrung dienen können und zum anderen, weil die Zersetzung dem Boden und somit Pflanzen guttut. Davon abgesehen, ist es scheinbar verboten.

Kurz keimt Panik auf

Also streifen wir weiter. Wir schlagen einen Weg ein, den wir schon lange nicht gegangen sind. Ein Trampelpfad, der uns über Waldboden zu einem Hang bringt. Alex geht ganz an den Rand und starrt hinab. An dieser Stelle kann ich nur ein Stück der Tiefe sehen, wie der Hang verläuft jedoch nicht. Ich weiß nicht, wie hoch wir über dem anderen Wald sind, ob 20, 30 oder gar 50 Meter? Mein Herz schlägt schneller und ich merke, wie langsam ein kleines Gefühl der Panik aufsteigt. Was ist, wenn Alex da unten ein Tier entdeckt hat und gleich nach vorne prescht? Dann würde er abstürzen. Er ist zwar durch die Schleppleine gesichert, aber würde sie das aushalten? Oder verläuft der Hang an der Stelle vielleicht doch schon nach ein paar Metern nicht mehr ganz so steil, wie ein Stück weiter, sodass Alex nicht so tief landet? Ich werde unruhig. Also nix wie weiter.

Collect moments not things!

Der Trampelpfad führt nach wie vor am Rand des Waldes entlang. Der Boden besteht hier nur aus Erde. Vereinzelt steht am Hang ein Baum. Was ist, wenn dieser Abschnitt jetzt hinunter bricht? Dann ist es halt so, denke ich. Mein Herzschlag geht fast wieder normal und die große Panik bleibt aus. Mittlerweile geht es auch nicht mehr senkrecht hinab, sondern um einiges seichter. Hier herunter zu purzeln könnte zwar wehtun, aber solange wir nicht blöd irgendwo gegenschlagen, würden wir es sicherlich überleben.

Die Kamera bleibt aus

Ich blicke zu Alex, der jetzt hinter mir läuft. Er scheint sich für diesen Wegabschnitt nicht zu interessieren, obwohl wir hier schon lange nicht mehr waren und ein uns bekannter Hund auf diesem Pfad oft unterwegs ist. Doch mein Hund will nicht schnuppern oder markieren. Also er überlässt das Revier anderen Vierbeinern.

Seit Längerem versuche ich, bei unseren Hunderunden oder auch Wanderungen immer wieder innezuhalten, auf die Dinge am Wegesrand zu achten, den Geräuschen der Natur zu lauschen, mir meiner selbst bewusst zu sein und mich eben auch für die Dinge zu interessieren, die Alex Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch eine komplette Hunderunde haben wir bis jetzt noch nie so gemacht. Im Ansatz schon, aber dann zückte ich immer mal die Kamera oder mein Smartphone.

Dieses Mal blieb meine Sony Zuhause und mein Handy in der Tasche. Zwar habe ich jetzt leider keine Bilder von unseren Entdeckungen, aber es war trotzdem die beste Entscheidung. Allein der Wunsch und auch der Versuch ein möglichst schönes Foto zu machen, lenkt die Aufmerksamkeit ab, weg von dem Moment und den spannenden, schönen Dingen am Wegesrand. Und natürlich auch weg von Alex

Eine tiefere Verbindung zum Hund

Beim Wandern mit Hund habe ich schon viele tolle Ecken entdeckt: beeindruckende Wasserfälle, herrliche Panoramen, mystische Wälder, idyllische Seen und vieles mehr. Diesen Wald auf der Ostalb haben wir bereits Hunderte wenn nicht sogar Tausende Male durchwandert und die großen Highlights sucht man hier vergebens. Trotzdem war es eine der schönsten Hunderunden, die wir gemacht haben. Wie lange mein Hund und ich unterwegs waren? Ich habe keine Ahnung. Es spielt auch keine Rolle.

Wir legen noch einige Meter in unserem Stammwäldchen auf die geschilderte Art und Weise zurück. Schon zu Beginn hat sich innerhalb kürzester Zeit ein Gefühl der Entspannung und Freude breitgemacht. Am Ende ist es um ein Vielfaches gewachsen. Vollkommen glückselig erreichen wir das Auto. Mein Hund und ich haben diese Art des Unterwegsseins genossen. Es hat mein Herz zum Strahlen gebracht und ich bin mir sicher Alex auch. Wir sind uns noch ein Stück nähergekommen. Die tiefere Verbundenheit ist deutlich spürbar. Selbst Zuhause zehre ich noch von diesem warmen, glückseligen Gefühl. Es war einfach nur traumhaft! Ich freue mich schon auf unser nächstes Naturabenteuer.

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