Kein Netz – das ist mal eine Seltenheit. Bisher hatte ich mit meinem Handy im hessischen Frau-Holle-Land immer Empfang. Zwischen den dicht beieinanderstehenden Waldhügeln bei Wanfried versagt es aber scheinbar. Irgendwie hinterlässt das ein leicht mulmiges Gefühl. Klar, früher gab es gar keine Handys, aber ich habe mich mittlerweile so daran gewöhnt und es vermittelt mir eine gewisse Sicherheit, wenn ich allein wandere mit meinem Hund. Schließlich könnte ich im Falle eines Falles Hilfe per Telefon rufen. Nun gut, was solls, wir wandern trotzdem.
Ein breiter Schotterweg führt uns vom Wanderparkplatz weg. Links drängen sich die Bäume und Büsche dicht an dicht. Rechts befindet sich eine Wiese, an dessen Ende wieder Bäume stehen. Ein Stück der Straße schimmert zwischen dem Grün und Braun hervor, dahinter führt ein Feld bergauf bis zum nächsten dichten Baumrand. Viel Platz besteht also nicht zwischen den Hügeln. Es taucht eine freie grüne Fläche auf, an deren Rändern basketballspielergroße Holzverschläge stehen. Sie erinnern mich an einen Trainingsplatz für Soldaten oder an einen Hundeplatz, auf dem Schutzhunde ausgebildet werden. Allerdings gibt es keinen Zaun und so bin ich mir nicht sicher, ob hier tatsächlich mit Hunden trainiert wird. Der „Eingangsbereich“ verschafft mir aus der „Ferne“ keine Klarheit. Vielleicht, wenn ich den Schlenker zur „Pforte“ laufen würde, aber ich wandere lieber weiter. Alex interessiert sich auch nicht für den Platz, aber für die Grashalme und Bäume.
Die Schafe haben frei
Mittlerweile sind wir umringt von der Natur. Durchblicken ist nur an manchen Stellen möglich. Gras und Erdboden haben den Schotter verdrängt. Wieder tauchen Wiesen auf und ein Maschendrahtzaun, der unlieb am Wegesrand liegt. Das Warnschild muss ich mir anschauen. Es bittet darum, dass Hunde an der Leine bleiben. Der Premiumweg P5 Plesse des Geo-Naturparks Frau-Holle-Land führt nämlich über eine Weide. Schafe pflegen hier den Kalk-Magerrasen und sorgen so für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt. Allerdings sind heute keine da und so können wir unbesorgt weiter wandern. Schade, denn ich liebe Schafe, mein Hund Alex interessiert sich hingegen nicht dafür. Ein Blick auf den bewaldeten Hügel nebenan und wir verschwinden wieder zwischen den Laubbäumen.
Der Wanderweg im Werra-Meißner-Kreis bringt uns zum Elfengrund. Darauf freue ich mich sehr, aber ich werde etwas enttäuscht: Denn die Bäume, Büsche und anderen Pflanzen verdecken mit ihren grünen Blättern die Sicht. Nur hier und da geben sie einen kleinen Blick auf den Wasserfall frei. Wäre das Rauschen nicht zu hören, würde ich ihn vermutlich schnell übersehen. Näherherankommen scheint nicht möglich. Wirklich schade. Alex streckt seinen Kopf unter dem Holzzaun durch. Da geht es herunter, aber vermutlich unliebsam, sodass ich ihn da weghole.
Über eine Treppe steigen wir nach oben und verlassen den Elfengrund. Federten unsere Schritte bis eben noch recht gut über den Erdboden, werden sie jetzt wieder von Schotter etwas gebremst. Leider hält das an. Wir wandern stetig leicht bergauf und der Wanderweg macht manch Kurve. Ich bin frustriert: Denn es tut sich – nichts. Normalerweise versprechen Premiumwege eine abwechslungsreiche Tour, aber wir wandern gefühlte Ewigkeiten nur auf diesem breiten Schotterweg.
Enzian und Muschelkalk heben die Stimmung
Zwischendurch versuche ich mich an der Natur zu erfreuen. Bemoostes Totholz, in dem vermutlich manch Insekt wohnt oder Nahrung findet. Der Enzian erregt mein Interesse: Ich kann mich nicht daran erinnern, diese blauen Blumen mit länglichen Blüten gesehen zu haben. Türkenbundlilien und Orchideen sollen hier ebenfalls wachsen, aber ich entdecke keine. Dafür zeigt sich der Muschelkalk, durch den sich die Baumstämme in den Himmel pressen. Doch leider holt mich der blöde Schotter immer wieder zurück in den Frust. Auch Alex geht es ähnlich. Er trottet nur so hinter mir her und schnüffelt nur ganz selten. Die Steinchen unter seinen Pfoten machen es ihm schwer. Er versteift seinen Hundekörper und hält die Rute fest, anstatt sich durch ihr Schwingen zu balancieren. Eine Massage wäre sicherlich gut.
„Sollen wir vielleicht wieder umdrehen?“, frage ich mich immer wieder und doch laufen wir weiter. Vielleicht werten die Plessefelsen später den Weg auf. Sie sind 1640 durch einen Bergsturz entstanden und an den steilen Wänden zeigt sich der helle Muschelkalk großflächig. Jetzt würde ich gerne erst einmal eine Trinkpause machen für Alex, denn es ist doch wärmer als gedacht. Glücklicherweise lässt das recht dichte Blätterdach nur wenige Sonnenstrahlen auf uns und den Premiumweg P5 Plesse fallen. Endlich taucht eine Bank auf. Allerdings sieht sie nicht sehr einladend aus: Modriges, aufgequollenes Holz und das recht schmale Sitzbrett wirkt alles andere als bequem. Nicht einmal die Aussicht scheint spannend zu sein: Denn die reicht nur bis zu den Bäumen und Büschen auf der anderen Seite des Weges. Also vielleicht zwei Meter weit. Trotzdem legen wir eine kurze Pause ein, bevor wir weiterwandern. Spannend geht anders.
Wandern mit Hund am Grünen Band
Ich weiß gar nicht, wie lange der Teil der Strecke ist und wie viele Kreuzungen wir passieren. Auf jeden Fall taucht dann ein interessanter Weg auf. Er führt zwischen den Bäumen durch, der Sand wird teilweise von Baumwurzeln durchbrochen. Natürlich müssen wir bergauf, aber der Abschnitt versprüht etwas Abenteuerfeeling. Das kurz darauf leider wieder gedämpft wird. Wir brauchen keine fünf Minuten und schon landen wir auf einer Wiese. Etwa zehn Schritte weiter befinden wir uns auf dem Kolonnenweg der ehemaligen innerdeutschen Grenze zwischen Hessen und Thüringen. Also wir sind am Grünen Band. An sich ganz schön, aber Kolonnenwege bestehen leider aus Asphalt und das finde ich beim Wandern noch schlimmer als Schotter. Aber nach wie vor kann ich mich nicht zum Umdrehen durchringen. Also wandern wir weiter – lustlos.
Wenigstens öffnen sich die grünen Büsche. Sie geben den Blick frei auf die Felder, Wiesen, und benachbarten Hügel. Auch ein paar Häuser und Höfe sind zu sehen. Das besänftigt mich. Alex nicht. Noch einmal führt uns der Premiumweg P5 Plesse über eine Wiese mit kniehohen Gräsern. Kurz darauf tauchen wir wieder ein in den Wald und es keimt Freude auf: Ein schmaler Waldpfad schlängelt sich über den Bergrücken. So mag ich das. Alex läuft ebenfalls gleich beschwingter und schnüffelt wieder.
Diese Freude währt aber nicht lang. Wie sollte es anders sein: Nach nur wenigen Metern erwartet uns wieder Schotter. „Warum zum Teufel hat dieser Wanderweg ein Premiumsiegel?“ Diese Frage stelle ich mir nicht zum ersten Mal. Vielleicht bin ich heute einfach ein Naturbanause und zu anspruchsvoll?! Schließlich wandern mein Hund und ich auch durch das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet Plesse-Konstein-Karnberg. Das gehört zum Biotopverbund Grünes Band und zum europäischen Schutzgebiet Natura 2000. Auf 564 Hektar wachsen viele verschiedene Pflanzen und Bäume, wie die seltene Eibe. Kalkbuchen und Blaugras-Rasen (natürlicher Kalkmagerrasen) bedecken ebenfalls die Muschelkalkplatte. Und am Fuße der Felswände findet man Ahorn-Linden-Hangschuttwälder.
Der Plesseturm ist aufgrund von Witterungsschäden gesperrt
Innerlich quengele ich vor mich hin, als ich einen großen Vogel erblicke. Vielleicht ein Wanderfalke, der brütet nämlich in der Plesse-Steilwand, oder ein Uhu, denn auch der lebt hier. Der Vogel fliegt kurz über den Wanderweg, bevor er zwischen den Baumwipfeln verschwindet. Mein Blick verfolgt ihn und entdeckt so den Aussichtsturm. Allerdings ist er gesperrt. Nicht so schlimm, denn die vielen Stufen wären für Alex nichts und ihn unten anzubinden, hätte ich dieses Mal nicht gewollt.
Vor dem Plesseturm können wir genauso gut die Aussicht auf das Werratal genießen: Endlich ein Highlight. Ein Panoramaschild benennt die sichtbaren Gemeinden und Hügel. Darunter sind Wanfried, der Hohe Meißener (circa 753,6 Meter), der thüringische Heldrastein (circa 503,6 Meter) und die Blaue Kuppe (circa 309 Meter). Das Frau-Holle-Land und meine nordhessische Wahlheimat sind einfach schön. Herrlich. Deshalb legen wir wieder eine Wanderpause ein. Die Bank nutzen wir aber nicht, denn die steht mitten in der Sonne, Alex braucht jedoch Schatten. Also setzte ich mich auf den Boden. Das weiß Herr Hund leider nicht zu schätzen. Er will überall schnüffeln und zieht an der Hundeleine. Eine Pause will er scheinbar nicht. Leider tauchen zwischen dem Sand und den Steinen immer wieder Glasscherben auf, sodass ich mich recht bald wieder hochraffe, damit wir weiterwandern. Schotter, Du hast uns wieder. Allerdings bin ich etwas beschwingter. Dank der Aussicht.
Auf einem schmalen Pfad wandern wir bergab
Glücklicherweise ist dieser Abschnitt nicht so lang und der Wanderweg verwandelt sich in einen schmalen Pfad. Allerdings schlängelt er sich nun bergab und das am Hang entlang. Die Plesse misst rund 480 Meter und ihre Kalkfelswand, Plessefelsen, reckt sich zwischen 25 und 50 Meter in die Höhe, und zwar steil sogar fast senkrecht. Ich ahne böses und natürlich meldet sich nun meine Angst. „Was hast Du Dir nur dabei gedacht!“, meckere ich mich kurz an. Wir wandern trotzdem weiter. Schließlich können wir jederzeit umdrehen. Der Hang fällt nicht steil herab, aber herunterfallen möchte ich trotzdem nicht und ich mache mir Sorgen, dass es später senkrecht hinunter geht. Denn dann könnte ich eventuell keinen Schritt weiterwandern. Abwarten und Ruhe bewahren.
Alex und ich müssen auf dem schmalen Weg hintereinander gehen. Er ist aber recht eben. Nur hier und da presst sich eine Baumwurzel durch den Boden nach oben. Weiter, immer immer weiter. Nur selten blicke ich nach rechts, um einzuschätzen, wie gefährlich es aussieht. Einmal keimt noch Panik auf: Wie der Pfad weiter verläuft, kann ich nämlich nicht sehen. Der Hang scheint steiler zu werden. Jetzt wäre ein Umdrehen schon sehr müßig, da wir schon einige Meter bergab gewandert sind. Also wage ich mich vorsichtig weiter. Alex Schleppleine halte ich den ganzen Pfad schon recht kurz in der Hand. Eine Kurve noch, dann bin ich erleichtert, es wird nicht schlimmer und der nächste breite Weg zeigt sich bereits. Hallo lieber Schotter, jetzt freue ich mich über dich. Dieser Abschnitt des Premiumweges P5 Pless war schon etwas aufregend, aber tatsächlich der beste Teil des Wanderwegs.
Beschwingt kommen wir an einem Rastplatz an. Dass ich keine Tischtennisschläger dabeihabe, stört Alex weniger. Dass das Grillfleisch noch im Supermarkt liegt, umso mehr. Natürlich weiß er nicht, dass wir hier hätten grillen können, geschweige denn was „grillen“ bedeutet, aber mit Sicherheit liegt hier noch manch Fleischgeruch in der Luft: Denn Alex schnüffelt sich wie ein Irrer an den Tischen und Grillstellen entlang. Gegen ein Barbecue hätte er sicher nichts. Ich genieße hingegen die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut und freue mich, dass gerade keine Grill- oder Spielparty stattfindet.
Kneipp sorgt für eine Wanderfreude
Da entdecke ich ein weiteres Highlight, und zwar ein Kneipp-Becken. In dem Wasser schwimmt zwar manch Blatt und Erdkrümmel, ich wate trotzdem hindurch. Anfangs etwas frisch, das vergeht aber mit den ersten ausladenden Storchenschritten. Fazit: Es ist einfach fantastisch! Anschließend ziehen ein Hund und Frauchen sowie ein Pferd und Reiterin vorbei. Wir bleiben aber völlig entspannt.
Kurz darauf wandern wir weiter. Der Premiumweg führt uns an Felder und Wiesen, dessen Gräser und Getreide sich im Wind wiegen. Dazwischen zeigen sich das große Kreuz-Monument und die halbrunde Steinmauer samt Tor des kleinen privaten Friedhofs. Dabei handelt es sich um die Grabanlage der von Scharfenberg – auch als „Konsuls Grab“ bekannt. Seit 1885 werden hier die Mitglieder der einstigen Kaufmannsfamilie begraben. Einer von ihnen, Karl Franz Joseph Friedrich von Scharfenberg (1812-1890), soll nicht nur ein Bremer Kaufmann gewesen sein, sondern auch österreichischer Konsul in Kuba. Daher der Name „Konsuls Grab“.
Noch einmal lasse ich den Blick über die Felder, Wiesen und bewaldeten Hügel des Werratals schweifen. Dann treten wir die letzten Meter zum Wanderparkplatz an, und zwar zufrieden: Denn der zweite Teil des Premiumwegs P5 Plesse hat den Frust vom ersten weg gemacht.