Rhädenrundweg mit Hund

Wildpferde – mit dem Wort fällt die Entscheidung: Mein Hund und ich wandern den Rhädenrundweg. Er führt durch das gleichnamige Naturschutzgebiet und befindet sich bei der ehemaligen innerdeutschen Grenze zwischen dem thüringischen Wartburgkreis und dem hessischen Landkreis Hersfeld-Rotenburg.

Nur ein Auto steht auf dem Wanderparkplatz. Das sind gute Voraussetzungen für uns, schließlich haben sowohl Alex als auch ich am liebsten unsere Ruhe. Ich drehe mich um, mein Blick bleibt an dem großen, weißen Riesen hängen, wie so oft. Der Monte Kali fasziniert mich einfach. Die Salzhalde ist schwer zu übersehen: Sie soll über 500 Meter hoch sein. Ringsherum ist es eher flach, nur hier und da ein paar bewaldete Hügel, die eigentlich erst mit dem Thüringer Wald auftauchen. Deshalb zeigt sich der Kalimandscharo aus weiter Ferne. Schon oft habe ich ihn gesehen, wenn ich durch die Region gefahren bin. Es soll ein Wanderweg hinaufführen, aber für Hundepfoten aufgrund des Salzes vermutlich eher ungeeignet.

Mit Hund ums Vogelparadies wandern

Mein Hund Alex interessiert sich nicht für das weiße Steinsalz. Er zieht die Wiese und den Mülleimer am Wanderparkplatz vor. Er hebt die Hundenase wieder hoch und signalisiert mir, dass er loswandern möchte. Ich auch. Also machen wir uns auf den Weg. Asphalt: Er erfreut nicht gerade mein Gemüt und meine Hüfte ebenso wenig. Aber wer weiß, wie lange der Wanderweg über diese Straße führt. Meine Füße federn nicht wie auf Waldboden, sondern klatschen eher auf und kommen abrupt zum Stoppen bei dem harten Bodenkontakt. Die Aussicht gefällt mir aber. Vor beziehungsweise neben uns liegt das Naturschutzgebiet Rhäden.

Es handelt sich dabei um ein 200 Hektar großes Niederungsgebiet, das durch die ehemalige innerdeutsche Grenze zerschnitten wurde. So gibt es auch heute noch das Dankmarshäuser Rhäden und das Rhäden bei Obersuhl und Bosserode. Entstanden ist es durch Prozesse der Salzauslagerung und geologischen Prozessen oder genauer gesagt tektonischen Vorgängen, letzteres erscheint mir aber zu kompliziert. Früher war das Naturschutzgebiet Rhäden ein Sumpfgebiet, das trockengelegt wurde, um es als Grün- und Ackerland zu nutzen. Viele Wiesenbrüter, Wasser- und Zugvögel freuen sich, dass das Gebiet wieder reaktiviert wurde. So bildet die Auenlandschaft ein beliebten Brut-, Rast- und Nahrungsplatz.  

Welcher Vogel ist schon da?

Mitten auf den Wiesen sind kleine Seen oder Teiche und Vögel treiben ihr Unwesen. Ob da wohl gerade eine Löffelente brütet, ein Schwarzhalstaucher einen Stopp einlegt, bevor er weiterzieht, oder ein Silberreiher nach Nahrung sucht? Keine Ahnung. Denn für meine kurzsichtigen Augen sind sie doch zu weit entfernt. Davon abgesehen kenne ich mich mit dem Gefieder nicht gut aus. Eine Saatgans oder große Rohrdommel dürfte auf jeden Fall nicht darunter sein, denn der Winter ist vorbei.

Was da schwimmt, watschelt, isst und brütet spielt für mich keine Rolle. Ich liebe es einfach in die Natur zu blicken und durch sie zu wandern. Auf Alex muss ich allerdings etwas aufpassen. Denn links neben uns steht ein Zaun mit grauen, dünnen Drähten und ein gelbes Dreieck warnt vor dem Strom. So ein Erlebnis möchte ich Alex ersparen.

Unschöne Erinnerungen aus der Vergangenheit

Denn es sitzt noch tief: Alex war gerade wenige Monate bei mir, als wir um den See meiner Kindheit spazieren gingen. Als wir die Zufahrt zum Parkplatz passierten, kamen von der einen Seite Fahrräder und von der anderen Seite ein Auto. Wir gingen an den Wegesrand, um Platz zu machen. Alex folgte brav und setzte sich von allein neben mich. Doch auf einmal sprang er schreiend und panisch auf. Zuerst dachte ich, eine Wespe hätte ihn gestochen. Erst nachdem wieder etwas Ruhe einkehrte, bemerkte ich die breiten schwarz-roten Maschen im Gras und ein Stück weiter sah ich das Warnschild.

Zwar hat Alex zum Glück keinen körperlichen Schaden davongetragen, aber einen seelischen. Mit dem Stromschlag hat er Autos, Fahrräder und die Hundeleine verknüpft. Seitdem sprang er an der Leine oft im Dreieck und wollte nur noch ungern Spazierengehen. Glücklicherweise ist das heute nur noch selten der Fall. Fahrräder mag er aber immer noch nicht, was sicherlich auch an weiteren Vorfällen dieser Art liegt.

Nicht nur Vögel lieben das Gebiet

Zurück zum Rhäden. Alex bleibt stehen und wirkt unsicher. Sein Blick geht starr nach vorne. Uns kommen drei Männer entgegen, die mit großem Gerät bewaffnet sind. Sie haben Ferngläser und riesige Objektive in der Hand. Vermutlich (Hobby-)Ornithologen. Die dürften hier auf ihre Kosten kommen: Im Naturschutzgebiet tummeln sich etwa 2.500 Vogelarten. Hinzu kommen einige Amphibien wie die Kreuzkröte und verschiedene Heuschreckenarten wie der Sumpfgrashüpfer.

Wir warten bis die drei vorbei sind, bevor wir weiterwandern. Ich hoffe immer noch auf Wildpferde, obwohl mir mein Gefühl sagt, dass wir keine zu Gesicht bekommen. Später lese ich, dass der Stromzaun hier nicht ohne Grund steht: Er schützt die fleißigen, vierbeinigen Landschaftspfleger. 2016 wurde das Beweidungsprojekt auf der Thüringer Seite gestartet. Zuerst mähten Heckrinder und Wildponys die Wiesen. Mit einem neuen Pächter kamen aber neue Tiere: Jetzt pflegen Wasserbüffel die Landschaft und lassen durch Verbiss sowie Tritt abwechslungsreiche Offenlandbiotope entstehen. In der Ferne bewegen sich dunkle, große Felsen, das müssen sie sein.

Der asphaltierte Weg macht eine Kurve und es sieht so aus, als müssten wir durchs Dorf. Das versuche ich oft zu vermeiden, weil ich ein kleines Hofhund-Trauma aus meiner Jugendzeit habe (ich wurde von einem Hofhund angegriffen) und weil fremde Menschen Alex manchmal zu sehr stressen. Große Gebäude tauchen auf, die an einen Stall erinnern. Mein Hofhund-Trauma findet das natürlich nicht gerade beruhigend. „Abwarten und weitergehen“, ermutige ich mich. Auch Alex wirkt etwas angespannt. An den Gebäuden und Straßen erkennt er, dass wir in die Zivilisation müssen. Meine Anspannung hilft ihm nicht gerade.

Auf der Straße wandern

Auf dem Zaun prangt ein Warnschild: „Achtung Seuchengefahr“. Das verstärkt meine Anspannung und lässt mein Herz noch etwas schneller schlagen. Blitzschnell meldet sich mein Verstand: „Wenn hier wirklich noch eine Gefahr bestehen würde, wäre es deutlicher gesperrt und nicht nur mit so einem alten Schild.“ Ein Auto steht auf dem Grundstück. Ansonsten ist nicht erkennbar, ob da jemand arbeitet und ob der Stall überhaupt noch genutzt wird. Ein Stück weiter sieht es eher verwahrlost aus. Zersprungene Fensterscheiben zieren die Mauern. Zum Teil sind nur noch ausgefranste, spitze Reste in den Ecken vorhanden.

Mit jedem Schritt werde ich ruhiger und so wandern wir weiter auf dem Rhädenrundweg. Bevor wir richtig in das Dorf eintauchen, biegen wir ab. Es geht weiter über Asphalt, an den Bahnschienen entlang. Ein Zug stört zum Glück nicht unsere Ruhe, aber dafür fahren immer wieder Autos an uns vorbei. Das ist nicht gerade das, was ich mir von einer schönen Wandertour mit meinem Hund verspreche. Der Blick zur Seite, auf die grünen Wiesen und die blau schimmernden Teiche besänftigt etwas.

Nach einigen Meter kommt zunächst ein Fußweg und dann die Abzweigung auf einen Schotterweg. Weg von der Straße. Links und rechts stehen Bäume mit weißen Blüten Spalier. Bestimmt Kirschblüten oder Apfelblüten?! Dieses Mal will ich es genau wissen. Die App Flora Incognita überrascht mich: Birnen steht auf meinem Display. Damit habe ich nicht gerechnet. Nicht alle Bäume blühen bereits und da die einen dicker und kleiner, die anderen schmaler und hochgewachsen sind, mache ich noch ein paar Fotos mit der App. Süßkirsche und Apfelblüten sind ebenfalls darunter. Also lag ich nicht ganz falsch.

Rastplätze mit Aussicht

Am Beobachtungsstand auf dem Lindenhauptkopf legen wir eine kleine Pause ein. Die Informationstafeln verraten mir, dass in dem Gebiet Wanderfalken ihre Kreise ziehen, Fischadler mit vorgestreckten Füßen aufs Wasser stürzen, um Fische zu fangen, und Kraniche mit weitgreifenden Schritten nach Insekten und Würmern suchen. Ich setze mich und will das Panorama genießen. Alex hält davon aber nichts. Er will weiter wandern. Nach einer Weile gebe ich nach. An dieser Stelle gibt es sowohl links als auch rechts vom Weg einen Stromzaun. Statt den Wasserbüffeln watscheln hier Wildgänse über die Wiesen – recht schweigsam. Sie scheinen also nicht in Schnatterlaune zu sein.

Wir kommen näher ans Wasser. Die schmalen, fast mannshohen Stängel des Schilfrohrs stehen weit genug auseinander, sodass sich das wellige Vogelparadies zeigt. Vielleicht hundert Schritte weiter tauchen mehrere Teiche auf und eine kleine Hütte steht am Wegesrand. Es scheint ein Kiosk oder Imbiss zu sein. Draußen stehen helle Stühle und Tische: Also Außenplätze sind vorhanden, was für Alex und mich meist der bessere Ort ist für eine Wanderpause als im Lokal. Allerdings hat die Hütte nicht geöffnet. Also gibt es keine Stärkung beziehungsweise ein Snack in Form eines Eises für mich.

Den Aussichtsturm lassen wir aus

Wir biegen wieder ab. Waldboden mit kleinen, braunroten Kieselsteinen. Dieses Mal umringt von großen Laubbäumen, an deren Stämmen sich zum Teil gelb-grünes Moos oder dunkelgrüner Efeu den Weg nach oben bahnt. Der Rhädenrundweg entpuppt sich als abwechslungsreicher als ich anfangs dachte. Alex gefällt es auch: Interessiert schnüffelt er sich von Grashalm zu Grashalm von Baum zu Baum. Zwischendurch öffnet das Gestrüpp daneben seine Äste und es schimmert blau-grau.

Den sieben Meter hohen Beobachtungsturm am Schleusengraben lassen wir lieber aus. Die Steintreppe wirkt recht steil und hoch, dass möchte ich Alex heute ersparen. Es gab wohl einen Vorgänger, der nach 27 Jahren leider in Brand gesetzt wurde. Die Gruppe für Naturschutz und Vogelkunde Wildeck e.V. engagierte sich, sodass 2004 der neue Turm eingeweiht werden konnte. Von oben hat man bestimmt einen schönen Ausblick, aber wir gehen weiter.

Ein barrierefreier Beobachtungsstand

An dem dunklen, hölzernen Bau, der wie ein Stall oder Schuppen aussieht, kann ich hingegen nicht vorbeigehen. Es handelt sich dabei um einen Beobachtungsstand, der sogenannte „Busch-Hide“, der extra für Menschen mit Behinderung errichtet wurde. Der Zugang ist ebenerdig und das Versteck bietet viel Platz, sodass auch Rollstuhlfahrer die Wasservögel in wenigen Metern Entfernung beobachten können.

Für Alex Hundenase bildet der „Hide“ ein wahres Geruchserlebnis. Er muss alles ab schnüffeln. So habe ich Zeit auf dem See die Vögel zu beobachten. Verschiedene Enten gleiten über das Wasser. Ob Reiher-, Tafel-, Spieß- oder Schellente entzieht sich meiner Kenntnis. Stockenten sind es jedenfalls nicht, die braun gestromerten Weibchen und die Erpel mit dem grünen Kopf sind für mich die Klassiker und einzigen Enten, die ich erkenne.

Wir ziehen weiter. Vorbei an weiteren grünen Wiesen und Weiden, auf den sich die Gräser im Takt des Windes wiegen. Und da sehe ich endlich ein großes Tier. Leider nicht die Wildpferde, die gibt es ja auch nicht mehr, aber Kühe oder Rinder. Die braunen Tiere liegen vor ihrem Stall in der Sonne. Manches grast und eines interessiert sich für uns. Es steht am Zaun und verfolgt uns mit seinen Augen. „Wir tun Euch nichts“, sage ich zu fast jedem Tier, an dem wir vorbeiwandern. Macht der Gewohnheit.

Die vorherige Federung meiner Füße findet erneut ein Ende: Denn Asphalt schlängelt sich zwischen den Wiesen, Feldern und Bäumen hindurch. So geht es zurück. Keiner kreuzt dabei unseren Wanderweg. Nur auf der parallelverlaufenden Straße fährt hin und wieder ein Auto vorbei. Nach gut sechs Kilometer erreichen wir das Auto. Kurz, aber schön.


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