Es ist nur ein kurzer Augenblick, aber er reicht aus, um mich mitten ins Herz zu treffen. Unser Roadtrip durch Tschechien, die Slowakei und Ungarn hielt einige Highlights für mich parat, aber es ist dieser eine Moment irgendwo in der Puszta, der mir am meisten im Gedächtnis geblieben ist. Er hat mich so sehr berührt und zum Nachdenken gebracht wie kein anderer.
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Die erste Nacht in Ungarn liegt hinter uns und während meine Adern leicht aus der Haut treten, meine Finger sich langsam steif anfühlen, weil sie das Lenkrad fest umklammern, meine Augen starr auf die Straße gerichtet sind, fühle ich mich hier nach wie vor so wohl, als wäre es meine Heimat. Wir sind auf dem Weg zum nächsten Campingplatz. Die Berge haben wir verlassen und fahren durch die ungarische Weite. Mein Hund Alex liegt auf dem Rücksitz. Vermutlich fallen ihm die Augen immer wieder zu, aber an Schlafen ist für ihn beim Autofahren einfach nicht zu denken. Stets hält er seinen Kopf in die Luft. Normalerweise steht er zwischendurch auf, um aus dem Fenster zu sehen, aber nicht bei dieser Fahrt. Vermutlich spannt er seinen Körper an, drückt seine knapp über 23 Kilogramm auf den Rücksitz, um nicht vollkommen von links nach rechts zu schaukeln. Ich höre ihn hecheln.
Normalerweise werfe ich ihm immer zwischendurch einen Blick zu, aber das ist auf dieser ungarischen Landstraße nicht möglich. „Habe ich in meinem Wohnmobilführer nicht etwas von normalen Straßen gelesen?“, frage ich mich. Aber was ist schon normal? Für mich als Deutsche sind es diese Fahrbahnen auf jeden Fall nicht.
Augen zu und durch
Rumps. Für Bruchteile von Sekunden schließe ich meine Augen und bete innerlich, dass mein Minicamper das überlebt, dass ich gleich nicht dieses laute konstante Klatschen hören, das einen Platten ankündigt. Kaum sind die Augen wieder auf, muss ich erneut einem Schlagloch ausweichen. Ich habe bereits einige Straßen passiert und auch wenn ich Schlaglöcher aus Deutschland, Schweden, Tschechien und der Slowakei kenne, ist das alles nichts im Vergleich zu der Straße, die wir gerade in Ungarn entlangfahren. Glücklicherweise fährt ein Reisebus vor mir, sodass ich wenigstens für Sekunden mir die Gegend anschauen kann, denn ein Ausweichmanöver würde ich schneller sehen als manch Schlagloch. Sind wir schon in der Puszta? Die recht sandige Weite spricht dafür.
Wir biegen ab und passieren eine kleine Ampel. Alles scheint auf einmal unwirklich. Wäre dieser Bus nicht vor mir, wäre ich nun völlig überfordert. „Das ist doch keine Straße!? Das sind Eisenbahnschienen!“, sage ich halblaut. Doch der Busfahrer lässt sich davon nicht beirren und fährt einfach weiter. Oh je – ich habe auch keine Wahl, denn nicht nur Kerstin (alias Buddy schreibt) ist hinter mir, sondern eine ganze Kolonne. Also, Augen zu und durch. Natürlich nur bildlich gesprochen, denn ich muss mich konzentrieren. Ich biege ab und begebe mich auf die Zugschienen. Sie sind von fast gleichhohem Asphalt umgeben, sodass Autos problemlos die Strecke befahren können. Trotzdem erscheint es mir irgendwie komisch, aber nun gut. Die Straße wird zu einer Brücke, die man nur aus einer Richtung zur Zeit überqueren kann.
Achtung: Hund voraus
Ich habe mich noch nicht ganz daran gewöhnt, da bewegt sich etwas vor mir. Auf einmal kommen zwei Hunde auf die Brücke. „Wo kommen die denn auf einmal her?“, frage ich mich. Die Fahrbahn ist schließlich bereits einige Meter über dem Boden!? Kurz bremse ich ab und fahr dann noch ein Stück weiter zur Seite. Viel Platz ist zwar nicht, aber ich hoffe einfach, dass ich an den beiden ungarischen Hunden vorbeikomme.
Das erste Gesetz der Freundschaft lautet, dass sie gepflegt werden muss. Das zweite lautet: Sei nachsichtig, wenn das erste verletzt wird. Voltaire
entdeckt auf zeitzuleben.de
Der größere Hund läuft vorweg, aber er schaut sich immer wieder nach hinten um. Nicht wegen dem Verkehr. Nein, er kontrolliert, ob sein Kumpel noch da ist. Dieser scheint etwas nervöser zu sein, aber er folgt seinem Freund völlig unbeirrt. Der Kontrollblick des Vordermanns bringt mein Herz zum Beben und meine Augen werden feucht – vor Rührung. In diesen kurzen Blicken sehe ich eine wahrhaftige Freundschaft: Der größere Hund scheint den kleineren so zu akzeptieren, wie er ist, und alles für ihn zu geben.
Manche Freundschaft braucht ein Ende
Wir Menschen nörgeln und meckern hingegen oft entweder offen und ehrlich oder „hinterrücks“ über unsere Freunde. Auch wenn es manchmal nur Kleinigkeiten sind, haben wir doch häufig an jedem etwas auszusetzen. Etwas, das wir nicht mögen oder etwas, das wir nicht verstehen können. Wir haben Erwartungen, die andere zu erfüllen haben. Manchmal sind diese viel zu groß. Gerade ich gehöre zu den Menschen, die teils viel zu hohe Ansprüche stellen, die sie selbst kaum erfüllen.
Wie oft habe ich es schon erlebt, sowohl bei mir als auch bei anderen, dass aus Nichtigkeiten Streits entstehen. Klar, manche klären sich wieder, aber nicht alle: teils aus Verletzung heraus und teils, weil wir nicht miteinander reden. Stattdessen denken wir, wie es vielleicht sein könnte. Rätseln, was der andere mit seinem Verhalten ausdrücken wollte oder versuchen irgendetwas zwischen den Zeilen zu lesen, was vielleicht gar nicht da ist. Und nicht selten, glauben wir so im Recht zu sein, sodass wir gar nicht versuchen, die Beweggründe des anderen zu verstehen.
In meinem Leben sind schon einige Menschen gekommen und gegangen – und ja ich habe stets einen Teil dazu beigetragen (manchmal einen großen). Um manche Freundschaft ist es traurig, aber auch wenn es schwerfällt, sind manchmal die getrennten Wege doch die richtigen. Nicht alle Menschen sind gut für einen. Nicht weil sie etwa schlechte Menschen sind, ich glaube, jeder kann ein wahrer Freund sein, aber eben nicht für jeden.
Bekannte und Freunde: Es ist doch ein Unterschied
Ich habe immer alle mir näher bekannten Personen als Freunde bezeichnet. Das Wort Bekannte klang für mich irgendwie befremdlich. Mein Freund sagte aber stets zu mir: „Das sind nicht deine Freunde, das sind lediglich Kumpels.“ Diese Worte haben mich etwas geärgert und ich habe mich dem widersetzt. Aber er hat recht. Nur weil man sich sehr gut versteht und vielleicht viele Gemeinsamkeiten hat, muss es noch lange nicht über eine Bekanntschaft hinausgehen. Als die beiden ungarischen Hunde in mein Leben treten, wird es mir klar. Der Moment dauert lediglich ein paar Minuten, aber er reicht aus, um mir zu zeigen, was wahre Freundschaft bedeutet. Eine Freundschaft, zu der wir Menschen leider nur bedingt fähig sind.
Der größere Mischling verlangt nichts von seinem Hundekumpel, sondern will einfach nur, dass er bei ihm bleibt und sicher über diese Brücke kommt. Wenn er Hilfe bräuchte, wäre er zur Stelle, da bin ich mir sicher, und zwar völlig ungefragt. Denn für die beiden scheint es selbstverständlich zu sein, dass sie aufeinander achten.
Unsere äußeren Schicksale interessieren die Menschen, die inneren nur den Freund. Heinrich von Kleist
entdeckt auf zitate.net
Ich spüre die tiefe Verbundenheit der beiden und mir wird wieder einmal klar, dass Freundschaft nicht unbedingt bedeutet, dass man viel Kontakt zu jemanden hat. Zu meinen besten Freunden, die ich an einer Hand abzählen kann, gehört meine Schulfreundin Carolin. Früher telefonierten wir jeden Tag und waren ständig gemeinsam unterwegs. Man wurde älter, schlug andere Bahnen ein und durch die räumliche Trennung schlief der Kontakt auch mal etwas ein. Aber auch wenn wir uns nur selten sprechen und sehen, weiß ich, egal wann und was ich habe, wenn ich mich bei ihr melde, ist sie für mich da und ich für sie.
Der Verstand ist uns im Weg
Also es ist egal, wie oft jemand anruft oder wie gut man sich versteht. Es ist unwichtig, ob jemand an den Geburtstag denkt oder nicht, es ist egal, wie viele Kilometer zwischen einem liegen, wie oft man sich schon gestritten hat, wie lange man sich kennt oder wie viel man zusammen erlebt hat. Entscheidend ist, dass man sich um einander kümmert und sich so annimmt, wie man ist. In der Menschenwelt ist das aber leider viel zu selten der Fall.
Wir handeln oft aus irgendwelchen eigenen Motiven heraus oder wir sind so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir gar nicht mitbekommen, dass jemand unsere Hilfe benötigt, wenn der nicht danach schreit. Natürlich kann daran auch die räumliche Distanz Schuld sein, dass wir es nicht mitbekommen. Dann gibt es beispielsweise diese Situationen, in denen wir eher aus Pflichtbewusstsein helfen: Also wir tun es, aber es passt uns eigentlich gerade nicht so gut. Manchmal fühlen wir uns hilflos, wir möchten gerne helfen, wissen aber nicht wie, oder sind uns unsicher, ob der andere unsere Unterstützung überhaupt will oder vielleicht von unseren Versuchen genervt ist. Nicht selten erschwert uns unser Verstand auch in Sachen Freundschaft manchmal das Leben.
Hunde sind die besseren Freunde
Zu manchen Menschen (ich glaube, es können nur wenige sein) haben wir vielleicht eine ähnliche Verbundenheit wie diese beiden ungarischen Hunde. Trotzdem ist es bei den Zweien eben noch ein Stück anders. Hunde sind uns gegenüber sicher im Vorteil: Es bedarf nicht der großen „Worte“, denn sie spüren es einfach, wenn der andere ihre Hilfe benötigt. Tiere müssen nicht Ewigkeiten das Für und Wider durchgehen, sondern machen das, was sich richtig anfühlt. Wenn sie einen Artgenossen als Freund und/oder Rudelmitglied auserkoren haben, helfen sie bedenken- und bedingungslos. Sie erwarten keine Gegenleistungen und werden diese auch nicht einfordern. Hunde sind einfach – und auch füreinander da.
Während ich über diese herzerwärmende Freundschaft nachdenke, verfolge ich die beiden Streuner im Rückspiegel. Mein Herz ist weich und warm. Später erzählt Kerstin mir, dass der eine auf die andere Brückenseite gelaufen ist, aber der Kleinere traute sich nicht hinterher und lief dann direkt vor einem Traktor. Sie hatte Sorge, dass er überfahren wird. Wir werden wohl nie erfahren, was aus den beiden geworden ist, aber ich hoffe, dass sie diesen Tag überlebt haben und noch viel Zeit zusammenverbringen. Auf jeden Fall bin ich wahnsinnig dankbar dafür, dass ich sie getroffen habe. Es war nur ein kurzer Augenblick, aber ich werde ihn vermutlich nie vergessen.
Was bedeutet Freundschaft für Dich?
4 Comments
Was für ein berührender Artikel. Der Artikel gibt mir viel zum Nachdenken. Und ich bin gespannt auf eure weitere Reise. Steht Ungarn bei mir doch auch noch auf der Urlaubswunschliste.
Liebe Grüße
Miriam
Liebe Miriam,
ich danke Dir vielmals für Dein Feedback, es hat mich sehr bewegt!!! Ich freue mich wirklich sehr darüber, denn mir ist es nicht nur ein Anliegen, zu unterhalten und zu informieren, sondern eben auch zu bewegen und manchmal zum Nachdenken anzuregen. 😊
Wie es in den Städten ist, weiß ich leider nicht, da wir lediglich durch Budapest durchgefahren sind, aber in der ländlichen Region (aber nicht direkt an der österreichischen Grenze) war es hervorragend. Ich habe das Land und vor allem das Leute wahnsinnig ins Herz geschlossen und hoffe, dass ich bald zurückkehren kann, um noch mehr von Ungarn zu sehen. 😍 Also ich kann es nur empfehlen! Falls Du hinfährst, bin ich sehr gespannt, wie es Dir gefällt und würde mich über einen Bericht sehr freuen. 😁
Liebe Grüße
Anni
Liebe Annika,
das ist ein ganz wundervoller Text. Mal ganz davon abgesehen, dass er super schön geschrieben ist, hast du das Thema auch perfekt auf den Punkt gebracht. Mir sind Hunde oder Tiere allgemein auch oft lieber als Menschen. Lügen und betrügen ist ihnen vollkommen fremd. Das ist einfach schön.
Liebe Grüße,
Mareike & Loki
Liebe Mareike,
ganz lieben Dank für Deinen Kommentar! Auch darüber habe ich mich wahnsinnig gefreut und Deine lieben Worte haben mich echt gerührt!!! ❤️ Und es ist auch schön zu sehen, dass ich nicht alleine bin, auch wenn ich etwas traurig finde, dass die eigenen Artgenossen teils so problematisch sind… 😞 Du hast recht, es ist echt toll, dass Tiere zum Glück diese negativen Seiten nicht haben und das ihnen lügen und betrügen fremd ist. Ohne Tiere wäre das Leben echt besch…. 😜
Liebe Grüße
Anni