Auf den Spuren der Gänsekerle

Aufmerksam schiele ich immer wieder zu meinem Hund Alex. Vorhin im Garten lahmte er kurz. Um die Verabredung abzusagen, war es schon zu spät. Also sind wir trotzdem zum Wanderparkplatz Hasselbach in Datterode gefahren. Natürlich steht fest, dass wir die Tour abbrechen, wenn Alex nicht laufen kann. Ein klarer Hundegang sieht zwar anders aus, aber Alex geht fröhlich voran und das zählt. Schließlich gehen die wenigsten Hunde absolut vernünftig.

Davon ab ist für mich viel entscheidender, ob Alex Schmerzen hat oder nicht. Hunde verbergen das gerne und halten meist mehr aus, als wir glauben. So kommt es nicht selten vor, dass der Mensch es nicht merkt, wenn der Hund Schmerzen hat. Deshalb bin ich in Habachtstellung. Alex Rute wedelt leicht von links nach rechts und umgekehrt. Über unsere Wanderbegleitung Anie und Juni freut er sich. Er fiept etwas verlegen, denn einerseits möchte er gerne hin, andererseits ist er etwas verunsichert. Schließlich entscheidet er sich für eine kurze Begrüßung.

Wandern mit Hund im Geo-Naturpark Frau-Holle-Land

Danach wandern wir los und mein Hund Alex läuft vergnügt voran. Er schnüffelt sich durch das unbekannte Terrain. So weit scheint also alles gut zu sein. Trotzdem werde ich ihn weiter beobachten, damit ich Probleme gleich erkenne. Abbrechen können wir natürlich jederzeit.

Kleine aufgeplusterte helle und dunkle Wollknäule begleiten uns auf einigen Metern. Zwischendurch rufen sie uns ein „Määh“ zu. Alex interessiert sich nicht für die kleinen Schafe, oder sind es doch Heidschnucken? Die Mischlingshündin Juni muss hingegen schon einmal genauer hinschauen. Der Bock hat gerundete Hörner und läuft in der Mitte seiner Damen. Einige Meter vor dem Zaun bleiben sie stehen und laufen wieder zurück. Ein braunes Holzschild mit gelber Schrift weist uns den Weg: „Premiumweg P19“ steht darauf.

Der „Premiumweg P19“ ist einer von mittlerweile 26 Rundwegen im hessischen Geo-Naturpark Frau-Holle-Land. Er trägt auch den Namen „Gänsekerleweg“, weil in Datterode früher die Sippe „Fischer“ Federvieh kaufte und verkaufte. Die Wandertour führt durch den Kalkbuchenwald bei Datterode im Werra-Meißner-Kreis in Nordosthessen. Die Streckenlänge beträgt 9,5 Kilometer, wobei es auch möglich ist, sie zu verkürzen. Genauso gut kann man die Wandertour erweitern, und zwar mit den Rundwegen „Hasselbachtal“ (4 km) und „Datteröder Burgweg“ (9 km). Der Schwierigkeitsgrad lautet mittel bis anspruchsvoll und es bedarf einer guten Grundkondition sowie Trittsicherheit.

Hundegebell lenkt mich etwas ab, als wir an einem Holzhaus vorbeikommen. Erst kam es aus dem Inneren, aber als ich mich umdrehe, blicken zwei Dackel und ein großer heller Mischling (?) durch die Gitter des Gartentors. Eine gute Wanderung mit Hund wünschen sie uns vermutlich nicht. Wahrscheinlich rufen sie: „Haut bloß ab, sonst gibt es Ärger, Ihr Halunken.“ Alex und Juni verstehen die hündischen Laute vermutlich, aber sie wirken unbeeindruckt und widmen sich lieber den Grashalmen und Gebüschen.

Pfoten und Füße hoch

Die erste Hürde steht uns bevor: Kleine und große, teils mit Moos bedeckte Äste belagern den Weg. Kurz überlegen wir, ob wir einen anderen Weg einschlagen sollen, aber hier führt nun einmal der „Premiumweg P19“ lang. Also heben wir unsere Füße und Pfoten höher an, um über die gefällte Natur zu steigen. Ab und zu schlägt mir ein Ast gegen die Beine oder hält mich an der Jacke fest. Mein Hund Alex wackelt teils mehr, als dass er vernünftig geht, trotzdem bleibt er gelassen und nimmt es sportlich. Es sind einige Meter, aber wir bezwingen den astbedeckten Boden.

Um kurz darauf die nächste Herausforderung anzugehen: Der erste Berg erwartet uns. Der Huppelsberg misst rund 410 Meter (ü.NN). Auf welcher Höhe wir uns gerade befinden, weiß ich nicht, aber ein mit Laub bedeckter Waldweg führt steil hinauf. Erst kurz vorher entdecken wir eine seichtere Strecke, wobei auch deren letzte Meter mich zum Schnaufen bringen würden. Die Wanderung fängt ja gut an, wobei ich mich gleichzeitig über die kleine Sporteinlage freue.

Hunde mutieren zu Käfern

Auf der Spitze steht der Berliner Turm, der 1960 erbaut wurde und ganzjährig begehbar ist. Wir wollten schon weiter, da entscheide ich mich doch noch um. Im Eiltempo nehme ich die Eisenstufen, die sich im Turm nach oben winden. Früher gehörte die Treppe wohl zum Eschweger Flugplatz. Zaghaft trete ich auf das erste Aussichtsplateau und blicke nach unten. Alex, Juni und Anie gleichen Käfern von hier oben.

Höhenangst habe ich zwar nicht, aber Angst vorm Fallen. Deshalb fühle ich mich auch etwas unbehaglich: Mein Herz schlägt etwas schneller und meine Handflächen scheinen zu überlegen, ob eine Schweißproduktion nötig wird. Trotzdem gehe ich auf dem Balkon einmal um den Turm herum. Dabei versuche ich meinen Körper dicht an der Turmwand zu halten, damit ich ja nicht aus Versehen über das Geländer purzle oder mit der eisernen Umrandung hinabstürze. Das mag völlig übertrieben erscheinen, aber ich sag ja, ich habe Angst vorm Fallen und Angst ist vieles, aber nicht unbedingt rational.

Ich bleibe stehen. Meinen Rücken drücke ich leicht gegen die Mauer, während ich versuche, die Aussicht zu genießen. Die nackten Äste vor meiner Nase geben die Sicht frei auf die bewaldete Hügellandschaft in Hessen. Unter anderem zeigen sich die Blaue Kuppe, die Boyneburg, der Hoher Meißner und die Hessische Schweiz. Kurz durchatmen und dann wieder die Treppen hinabsteigen. Denn den zweiten Balkon weiter oben spare ich mir.

Wild liegt in der Luft

Weiter geht es durch den Wald und bergab. Die Natur öffnet sich zu einer Seite. Eine grüne Wiese führt leicht wellig hinab. Dahinter sehen wir den nächsten Berg hinaufragen. Wir wandern auf einem schmalen Pfad dicht am Waldrand entlang. Ein Stück bergab, bevor wir wieder ganz in den Kalkbuchenwald eintauchen und sich die nächste kleine Herausforderung vor uns erhebt. Natürlich geht es wieder bergauf. Der Weg bleibt schmal. Braune Blätter bedecken ihn. Zwischendurch ragt eine Baumwurzel oder ein Stein hervor.

Wild liegt in der Luft, zumindest wenn wir den Hundenasen trauen. Sie recken sich in den Himmel, die Nasenlöcher wackeln und die Nasenrücken kräuseln sich beim Stöbern. Zwar scheint hier irgendwo ein Reh oder anderes Tier unterwegs zu sein, aber Alex senkt seine Hundenase wieder. Seine Pupillen verwandeln sich nicht in Teller, sondern bleiben normal groß. Außerdem setzt er seine Pfoten wieder auf den Pfad. Kurzum er verfällt nicht in einen Jagdmodus.

Juni darf statt zu jagen Leckerlis suchen. Alex und ich gehen ein Stück weiter, damit die zwei Ruhe haben. Mein Hund Alex kann nämlich eine kleine „Arschgeige“ sein, wenn es um Futter geht. Im Tierheim hatte er solche Angst, dass er den Futternapf nur sporadisch wahrnahm, und das haben die anderen Hunde im Zwinger ausgenutzt. Vielleicht kommt daher sein Futterneid? Kann sein, muss aber nicht. Schließlich kann das auch Teil typischen Hundeverhaltens sein, das nicht so gerne geteilt wird.

Wandern mit Hunden: kleine Foto- und Leckerlipause

Wir nutzen die Baumstämme, um Fotos zu machen. Zumindest würde ich das gerne, aber Herr Hund möchte sich nicht dort hinstellen, wo ich das gerne hätte und warten will er erst recht nicht. Trotzdem bekommen wir ein Foto hin. Danach gebe ich aber auf. Er bekommt ein paar Leckerli und dann lasse ich Alex wieder seine Nase zwischen die Blätter sowie Sträucher stecken.

Unsere Wanderbegleitung schließt wieder auf und wir verlassen den Bergrücken über einen schmalen Pfad, der sich ebenfalls zwischen den Bäumen hindurchschlängelt. Unten angekommen landen wir auf einem Schotterweg, an dessen Wegesrand eine Informationstafel steht. Danach könnten wir an dieser Stelle den „Premiumweg P19“ abkürzen. Ich bin unsicher wegen Alex Gesundheit. Bis hierher hat er alles gut gemeistert, weitaus besser als ich. Er läuft weiterhin voraus und schnüffelt, was bei ihm immer ein gutes Zeichen ist. Außerdem hat er nicht einmal gelahmt. Deshalb entscheide ich mich dafür, dass wir weiterwandern.

Auf zu den Wichteln

Über einen breiten Schotterweg wandern wir aus dem Wald, bleiben aber an seinem Rand. Laut Google Maps befindet sich am Ende der Wiese der jüdische Friedhof Reichensachsen. Wir wandern mit unseren Hunden aber weiter am Wald entlang und folgen den Wegweisern Richtung Wichtelbrunnen. Dabei handelt es sich um ein Ausflugsziel, das vom Werratalverein Reichensachsen betrieben wird. An diesem Tag hat es aber zu.

Fotos von Anie

Jedoch schließt ein Mann gerade die Tür hinter sich. Im Gang zum Brunnen steht sein Fahrrad, weshalb ich etwas zögerlich weitergehe. Alex hat nicht nur Angst vor Fremden, sondern auch ganz besonders vor Fahrrädern. „Kommt her, die Hunde können hier ruhig trinken“, sagt der Mann. Anie nutzt die Gelegenheit mit ihrer Hündin Juni. Alex und ich bleiben vor dem Eingangstor stehen. Ich schaue mir die Fotos und Informationen an. Der Mann fängt an zu erzählen. Scheinbar gehört er zu den Ehrenamtlichen, die den Brunnen samt Anlage pflegen sowie das „Lokal“ betreiben.

„Wieso heißt das hier Wichtelbrunnen“, frage ich ihn. Dazu gibt es eine Sage, die uns der Mann zusammenfasst: „Früher lebten hier der Schweinehirte Kasper Schwarz und der Schafhirte Johan George. Der schwarze Kasper wollte die Tiere des anderen nicht von seinem Wasser trinken lassen. Deshalb zog Johann mit seinen Schafen hier hoch zum Wichtelbrunnen. Erschöpft schlief er ein und als er aufwachte, floss plötzlich das Wasser aus dem Brunnen. Die Quelle des Schweinehirten versiegte.“

Wandersnack: Schnaps statt Kaffee und Kuchen

Außerdem erzählt er uns noch etwas über Friedrich Wienessen, den „Gründer“ des Brunnens. Bei dem Ausbau 1901 entdeckte er eine kleine Bergquelle. 1906 folgte dann der Bau der Schutzhütte und später das „Lokal“. Kaffee und Kuchen gibt es leider nur am ersten und dritten Sonntag im Monat. Dafür gibt uns der Mann aber einen Wichteltrunk, einen Pflaumenschnaps, mit auf den Weg.

Wir blicken noch in das Wasserbecken, auf der Suche nach Salamandern. „Da schwimmt einer“, sagt Anie. Den entdecke ich nicht, aber dafür die, die auf dem Boden sitzen. Komplett schwarz ohne gelbe Streifen. „Irgendwie habe ich mir die anders vorgestellt“, sage ich. „Es gibt ja verschiedene Arten“, antwortet Anie. Stimmt. Trotzdem bin ich etwas enttäuscht und wandere weiter mit meinem Hund auf den Spuren der Gänsekerle.

Der Mann hatte uns noch empfohlen, zu dem Fuchsloch zu gehen. Was genau das sein soll, ist bei all den anderen Informationen leider etwas untergegangen. Trotzdem nehmen wir die Abzweigung, die sich als beliebte Buddelkiste für Wildschweine herausstellt – zumindest deuten die Spuren und die aufgewühlte Erde darauf hin. Das Fuchsloch finden wir nicht, da wir auch nicht genau wissen, wonach wir eigentlich suchen, drehen wir wieder um. Zurück auf den P19 wandern wir mit unseren Hunden wieder bergauf durch den Kalkbuchenwald.

„Was glaubst Du, bedeutet das?“, frage ich Anie und deute auf den Baum vor uns. Darauf steht in gelber Schrift „Sch. Aus.“ Ich hatte schon sonst etwas im Kopf, aber Anie behält recht. „Schöne Aussicht heißt das.“ Manchmal kann es auch zu einfach sein… Doch zuvor müssen wir natürlich erst einmal bergauf. Der Pfad schlängelt sich zwischen den Buchen hinauf auf den Spitzenberg (422 Meter üNN.).

Mit Hunden über den schmalen Bergrücken wandern

Ich blicke immer wieder auf den Boden, um möglichst nicht über eine der Baumwurzeln zu stolpern, die sich durch die Erde drückt. Alex läuft wieder locker, fröhlich voran. Mit Leichtigkeit überwindet er die Höhenmeter und nimmt statt der Naturstufen, die steilere Abkürzung. Am Hang ragen grün leuchtende Felsen aus dem Waldboden hervor. Mal wieder kommen wir schnaufend auf der Spitze an. Friedrichslust oder die „Schöne Aussicht“ macht ihrem Namen alle Ehre. Allerdings genießen wir sie im Stehen, statt von der Bank aus.

Nachdem der Atmen bei uns Menschen wieder normal fließt, wandern wir weiter. Darauf haben die Hunde nur gewartet. Rute schwingend traben sie voran. Der Pfad bleibt schmal und führt uns über den Bergrücken. Jetzt sollte jeder Schritt gut sitzen, wenn man nicht vom Spitzenberg purzeln will. Dieses Mal habe ich fast keine Angst vor dem Fallen, sondern genieße vielmehr diesen kleinen besonderen Abschnitt. Es ist von hier oben nicht gut zu sehen: Die Gesteinsschichten des Wellenkalks treten aber mit einem Gefälle von etwa 35 Grad empor. Nur zu unserer Linken überragen uns die Bäume und Gebüsche. Rechts ist die Sicht frei auf das hessische Frau-Holle-Land.

Nur wenige Meter, dann wandern wir auch schon wieder bergab und verschwinden zwischen den Bäumen. So landen wir wieder an der Abzweigung von vorhin, an der wir den Gänsekerleweg hätten abkürzen können. Doch ich bin froh, das nicht gemacht zu haben. Ein breiter Weg führt uns durch den Kalkbuchenwald zum Boyneburgblick. Aufgrund meiner Kurzsichtigkeit kann ich die Ruine eher erahnen als gut sehen. (Mehr über die Boyneburg erzähle ich in diesem Blogartikel: „Endlich wieder wandern mit Hund“.)

Ein breiter, teils kurviger Weg führt uns zu den Mähwiesen. Die Natur bleibt weiterhin schön und ihre Stille begleitet uns. Abwechslungsreiche Herausforderungen stehen uns jetzt nicht mehr bevor – zumindest nicht wandertechnisch. Kaum um die nächste Kurve herum entdecke ich einen freilaufenden Hund sowie eine Reiterin samt Pferd.

Abwechslungsreich und schön: der Premiumweg P19

Da Alex aufgrund seiner Angst anfangs sehr oft angegriffen wurde, reagiert er nicht unbedingt freundlich, wenn ein Hund auf ihn zugerannt kommt. (Davon abgesehen gilt das unter fremden Hunden auch nicht als feine englische Art, sondern gleicht einer Unverschämtheit.) Also gehen wir ein Stück zurück und weichen auf eine Wiese aus. Da das Trio nicht an uns vorbeikommt, wagen wir uns wieder vor. Da hätten wir ja noch lange warten können: Sie haben nämlich das Gleiche gemacht wie wir. Die Frau ist abgestiegen und hält ihren Hund fest. Also wandern wir nun vorbei. Alex setzt zum Bellen an, merkt aber schnell, dass der Artgenosse keine Gefahr darstellt, und trabt weiter.

Der Wanderweg führt uns kurz darauf über eine Wiese wieder zu dem Holzhaus mit den drei Hunden. Dieses Mal zeigen sie sich aber nicht. Juni und Alex scheinen die Ecke wiederzuerkennen: Sie zeigen kein großes Interesse daran, die restliche Strecke mit ihren Hundenasen ausgiebig zu erkunden. Vermutlich gibt es seit unserem Hinweg eben nichts Neues. Die Gänsekerle treffen wir auf dem abwechslungsreichen „Premiumweg P19“ nicht. Der rege Handel mit den Wasservögeln gehört eben der Vergangenheit an. Das schmälert aber die Freude nicht: Mal wieder eine wundervolle Wanderung mit Hund.

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