Vorwärtskommen ist doch nicht immer das A und O

Mein Hund Alex und ich sind gerne in Bewegung und wollen stets vorwärtskommen. Vor allem bei unseren Hunderunden oder Wanderungen steht die Leistung im Vordergrund: Also Strecke machen und körperlich auslasten. Wenn mein Freund dabei ist, führt das aber manches mal zu kleinen Problemen, denn er ist das genaue Gegenteil. 

Während Alex schon immer unruhiger war, auch im positiven, war ich früher zumindest innerlich ruhiger. Trotzdem wollte ich mich stets auspowern. Schon als Kind hatte ich große Freude an körperlicher Aktivität und Sport gehörte zu meinen Lieblingsfächern. Noch heute kann ich mich für vieles begeistern und ich bin gerne aktiv. Ein Leben ohne Bewegung kann und will ich mir nicht vorstellen. Doch mir gefällt nicht alles. Pilates oder Krafttraining kann ich gar nichts abgewinnen. Ich brauche Aktion – je anstrengender, umso besser. Und so laufe ich auch mit meinem Hund durch die Gegend. Egal ob bei einer normalen Gassirunde oder beim Wandern, vorwärtskommen ist die Devise. Schlendern geht gar nicht. Glücklicherweise sieht Alex das fast genauso.

Etwas Tempo musste ich seinetwegen allerdings herausnehmen. Denn er möchte zwischendurch auch mal die Halme und Büsche beschnüffeln oder im Gebüsch nach Tieren suchen. Da ich gemeinsam mit meinem Hund wandern und die Welt entdecken möchte, mache ich da gerne mit. Dadurch hat sich unsere Beziehung ein Stück weiter vertieft und ich nehme noch mehr von der Natur wahr.

Das wir doch etwas langsamer geworden sind, merke ich meist, wenn wir mit Freunden wandern, die ebenfalls flott unterwegs sind. Dann leidet unsere Entschleunigung auch leider immer etwas. Anders verhält es sich, wenn mein Freund mit dabei ist. Vom Wandern kann man dann in meinen Augen eigentlich gar nicht mehr reden, denn es ist eher ein Schlendern, was mich und auch Alex ganz schön nerven kann.

Die wirkliche Entdeckungseise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern mit neuen Augen zu sehen. Marcel Proust

Wir sind in einem kleinen Wald bei Rainau-Buch in Baden-Württemberg unterwegs. Ich nenne es jetzt auch gerne das Wildschweinland. Zwar habe ich hier noch keines gesehen, aber bei einem unserer Besuche haben wir definitiv eines gehört, aber egal. Der Himmel ist grau, es ist trocken und der Boden mit Schnee bedeckt. Schon nach den ersten Metern hat unser Rudel seine klassische Formatierung eingenommen. Alex läuft vorne, in einem Abstand von fünf bis zehn Metern (so lang ist die Schleppleine) stapfe ich hinterher und noch einmal mindestens zehn Meter dahinter folgt mein Freund.

Während Alex und ich auch zwischendurch auf gleicher Höhe sind und wir gemeinsam alles erkunden, ist mein Freund immer hinter uns. Er ist so langsam unterwegs, dass ich schon manches mal zickig wurde. Nicht nur das er sich im Schneckentempo fortbewegt, nein, er bleibt auch noch regelmäßig stehen. Das bremst natürlich auch Alex und mich aus, da wir nicht einfach ohne ihn weiterlaufen wollen. Mein Freund sagt dann immer, dass er die Natur entdecken will und Tiere finden. „Du kannst bei deinem Tempo ja gar nichts wahrnehmen“, folgt meist. „Na klar, ich scanne nur alles eben etwas schneller als Du“, antworte ich in der Regel. Wer recht behält, zeigt sich erst später.

Wenn es nach meinem Freund ginge, würde er am liebsten auch noch einen drauf setzen und sich irgendwo niederlassen. Ich genieße gerne die Aussicht, aber sofern nicht ein Tier auftaucht, heißt es bei mir: wenn ich wandere dann geht es vorwärts. Klar bei großen Touren gibt es dann natürlich eine Pause an schönen Plätzen, aber nicht alle zehn Meter (in der Übertreibung wird es deutlich). Auch Alex scheint das ständige Verharren und Warten nicht zu mögen. Er trippelt dann unruhig herum und fängt irgendwann an zu quietschen. Also zwei gegen einen und so geht es dann normalerweise weiter.

Wir üben uns in Entschleunigung

Doch heute ändert sich etwas. Beim gefühlt hundertsten Mal Stehenbleiben, will ich gerade nörgeln, doch etwas hält mich ab. Beim Wandern und generell wenn ich mit Hund in der Natur unterwegs bin, habe ich Alex sei Dank bereits gelernt aufmerksam, achtsam und bewusst zu sein. Damit ich auch innerlich wieder ruhiger werde und meine Ängste bewältigen kann und dadurch auch Alex zu mehr Ausgeglichenheit verhelfen, übe ich mich im Innehalten und in der Entschleunigung. Yoga und Meditation sind mir dabei eine Hilfe. Normalerweise behalte ich mir so etwas genauso wie Sterne gucken für zuhause vor. Beim Wandern mit Hund geht es um Bewegung – doch nicht jetzt.

Auch ich stehe noch an Ort und Stelle, atme tief ein und aus. Schaue mir meine Umgebung noch genauer an. Die kahlen Bäume auf deren Äste ein paar Zentimeter Schnee liegen. Die Spuren derjenigen, die bereits vor uns den Weg gegangen sind. Ich schaue in den Himmel zwischen die Gebüsche und Bäume. Ein Tier entdecke ich leider nicht, aber ich nehme die Natur noch intensiver wahr. Die kühle Luft, die nach feuchtem Holz riecht. Ein Lüftchen, das meine Wangen kühlt. Hier und da vernehme ich ein Knacken und auch die Vögel scheinen noch lauter zu zwitschern als zuvor. Alex steht inzwischen neben mir. Auch er ist ganz ruhig und scheint einfach zu entspannen und zu sein.

Ein paar Minuten stehen wir einfach nur so im Wald herum. Keiner sagt etwas. „Das muss ich öfter machen!“, denke ich. Diese kurze Zeit hat mir eine Art inneren Frieden beschert und eine extra Portion Entspannung. Ohne das wir ihn antreiben müssen, setzt sich mein Freund wieder in Bewegung. Zwar gehen Alex und ich weiterhin ein Stück vor ihm, aber wir haben unser Tempo gedrosselt. Es spielt keine Rolle mehr, wie viel Strecke wir machen und wann wir ankommen. Nur der Moment zählt.

Du musst nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben. Antoine de Saint-Exupéry

Langsam zu gehen, fällt mir unglaublich schwer, aber es ist eine schöne Herausforderung, durch die meine Sinne noch mehr arbeiten. Es bereitet mir noch mehr Freude, als das es mir die Natur eh schon tut. Auch Alex ist entspannt. Er läuft an lockerer Leine mit. Hier und da nimmt er die Gegend zusätzlich riechend auf. Immer wenn Alex und ich unterwegs sind, versuche ich eine Verbindung zwischen uns aufrechtzuerhalten, was am besten klappt, wenn wir alleine sind. Jetzt wirkt nicht nur die Umgebung intensiver, sondern auch unsere Verbindung. Ich kann die Gefühle kaum in Worte fassen. Man muss es einfach erleben.

Unser Rudel läuft die ganze Zeit so weiter bis es immer dunkler wird und ich langsam doch lieber den Wald verlassen möchte. Nicht das ich tatsächlich noch mein erstes Wildschwein zur Gesicht bekomme – ohne Schutz. Also ziehe ich das Tempo wieder an. Mein Freund würde jetzt erst recht gerne langsamer laufen, Alex freut sich hingegen.

Während wir wieder Richtung Auto laufen, denke ich immer noch über das Erlebte nach. Scheinbar habe ich mich geirrt und etwas verkannt. Auch wenn ich bei unseren Runden die Natur wahrnehme und erlebe, macht mein Freund das scheinbar doch noch intensiver, als ich glaubte. Indem er langsamer voran schreitet, hat er noch mehr davon. Schließlich entdeckt er auch öfter die Tiere. Alex und ich nehmen sie meistens erst wahr, wenn sie unseren Weg kreuzen, neben uns im Gebüsch laufen oder besonders stark riechen. Da Alex Ohren und Nase um einiges besser funktionieren als meine, erblickt er sie meist schneller.

Die Rehe, die bei unseren letzten Runden still im Wald standen, haben wir blöderweise beide nicht bemerkt. Dabei halte ich stets Ausschau nach den Tieren, um an unserem Jagdproblem zu arbeiten. Doch der einzige, dem kein Tier durch die Lappen geht – ist mein Freund. Und das wahrscheinlich auch nur, weil er sich viel mehr Zeit lässt. Ich sage es ja nicht gern, aber er hatte scheinbar recht. In meinen Augen habe ich alles wahrgenommen, aber im Vergleich zu ihm nicht. Das werde ich in Zukunft etwas ändern. Ab jetzt heißt es auch bei unseren Wanderungen öfter einmal innehalten und genießen.

 

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4 Comments

  1. Hallo ihr zwei Rasenden mit Anhängsel!

    Schön, dass du diese Erfahrung machen konntest und merkst, dass manchmal weniger viel mehr sein kann.

    Vor ein paar Jahren war ich noch genau gleich wie du, aber nach einem schweren Unfall und vielen Monaten auf Krücken habe ich gelernt, was mir alles entgeht, wenn ich durchs Leben renne. Jetz schlendere ich beim Gassi und genieße das hier und jetzt. Keiner von meinen Bekannten hat so viele Tiere gesehen und soviele Sternschnuppen gesehen wie ich. Keiner kennt die Sternbilder so genau und kann sich anhand dieser sogar orientieren. Alles Entdeckungen durch mein eben bewusstes Gassigehen. Mir entgeht kein Tier, keine schöne Landschaft oder interessante Begebenheiten unterwegs.
    Zusätzlich habe ich gelernt durch diese Entschleunigung meines Lebens mein Temperament zu zügeln. Früher bin ich bei vielen Dingen sie fort in die Luft gegangen. Mittlerweile bin ich geduldig, lasse mir auch Zeit mit einer Anwort, die dann wohlüberlegt formuliert werden kann.

    Du kannst ja verschiedene Sequenzen machen, mal eure „Zwischenspurts“ und mal bewusste Runden. So kommt beides zur Geltung, der Bewegungsdrang und auch mal tief durchatmen. Übrigens mach ich durchaus mal sehr flotte Runden mit Shiva, wenn es mir danach ist.

    Grüßle Sandra und Shiva

    • Anni Antworten

      Hallo Sandra,
      vielen Dank für Deinen Kommentar. Das klingt super (bis auf Dein Unfall natürlich und ich hoffe, es geht Dir wieder gut!?) und animiert mich zusätzlich öfter so unterwegs zu sein. Danke!
      Es ist wirklich unglaublich, was es ausmacht einfach bewusst durch die Gegend zu gehen, nicht nur was man dadurch entdeckt, sondern auch welche Entspannung es bringt.
      Schön, dass Du die gleichen Erfahrungen gemacht hast und die Bewusstheit voll integriert hast. Davon sollten sich alle eine Scheibe abschneiden! Denn das verschönert nicht nur das eigene Leben, sondern auch das des Hundes, da bin ich mir sicher.
      Ich versuche es auf jeden Fall beizubehalten und jetzt auch zwischendurch in der langsamen Version. Also wie Du sagst, verschiedene Sequenzen, mal so mal so oder auch bei unseren Spurts einfach mal stoppen. Das ist für uns sicherlich die beste Variante. Unser Tempo ganz rausnehmen wird wohl nix, wir sind von Natur aus eben Rennmäuse :-), obwohl wer weiß, ein bisschen langsamer sind wir ja schon geworden…
      Ich bin gespannt und hoffe, dass wir auch so viel sehen und so gelassen werden wie Ihr! Und wünsche Euch natürlich auch noch ganz viele tolle Entdeckungen und Glücksmomente bei Euren Runden!!!
      Viele Grüße Anni

      • Hallo Anni,

        ja, das ist längst verheilt. Das war noch in meiner wilden Jugend. *grins* Ich habe zwar manchmal noch kleinere Baustellen daher, aber das grundsätzliche ist vollständig abgeheilt und ich kann so ziemlich alles wieder machen.
        Ich wünsche euch beiden auch viel Spaß beim bewussten Gassigehen und auch so richtig tolle Flitzerunden. Das gehört einfach dazu.

        Flauschige Grüße
        Sandra & Shiva

        • Anni Antworten

          Hy Sandra,
          das freut mich zu hören!
          Dankeschön und das wünsche ich Euch auch!
          Viele Grüße
          Anni

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